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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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mit Obst, mit Bananen, in den Laderaum geworfen, ohne daran zu denken, dass sich in ihr Karten befanden. Postkarten mit unserer Adresse.«
    »Die Postkarten?«, rief Berit. »Du hast die Karten gar nicht selbst geschickt?«
    »Moment mal. Was für Postkarten?«, fragte der Polizist.
    »Ich habe meiner Frau Postkarten geschrieben, auf der Insel, die ich erst nach dem Urlaub abschicken wollte. Die Karten waren in der Tüte, die ich dem Mann zugeworfen habe.«
    »Und diese Karten kamen später bei Ihnen an?«
    »Nach ungefähr einer Woche war die erste da, abgestempelt in Italien. Die zweite kam aus der Gegend um München und die dritte aus Berlin. Der Mann ist hier, verstehen Sie, hier in Berlin!«
    Etwas hatte sich im Ausdruck des Polizisten verändert. Als Gabor vom Eintreffen der Karten gesprochen hatte, hatten sich seine Augen geweitet vor Unglauben oder Schrecken, aber vielleicht bildete Gabor sich das nur ein, denn gleich darauf fragte er, ungerührt wie vorher:
    »Haben Sie auf der Fähre mit dem Mann gesprochen?«
    »Nein. Kein einziges Wort.«
    »Woher wusste er dann, dass die Karten an Sie selbst adressiert waren?«
    Gabor antwortete nicht gleich. Die Blätter der Kastanie bewegten sich kaum, auf dem Pfosten der breiten Grundstückseinfahrt gegenüber thronte ein steinerner Löwe. Mit was für Delikten schlug sich die Polizei hier sonst herum? Einbruch, Geldwäsche, mit den Hehlereien und Drogenverkäufen verwöhnter Sprösslinge? Und alle paar Jahre ging ein überschuldeter Ehemann mit dem Schürhaken auf seine Frau los.
    »Weil ich dem Mann noch einmal begegnet bin«, sagte Gabor ruhig. »Er hat es nicht geschafft, er wurde entdeckt. Kurz bevor wir Ancona erreichten, stand er, von Offizieren bewacht, bei der Rezeption, als ich den Kabinenschlüssel gegen meinen Ausweis tauschte. Er sah schrecklich aus, als wäre er geschlagen worden. Und er hat mich auch gesehen. Er hat gehört, wie der Steward meinen Namen nannte, und mich angestarrt, als hätte ich ihn verraten.« Der Polizist wollte etwas sagen, aber Gabor redete weiter. »Vor einigen Tagen hat jemand bei uns geklingelt und dann wie ein Verrückter gegen die Tür getreten. Am nächsten Mittag lag der Inhalt unserer Mülltonne in unserem Vorgarten. Und Nele hat davon gesprochen, dass sie ständig jemanden sehe, aber ich habe sie nicht verstanden, ich dachte, sie kriegt den Jungen nicht aus dem Kopf.« Gabor stieß die Geschichte hervor, als wollte er den Raum, in dem sich seine Angst angesammelt hatte, vollständig leeren. Er erzählte von dem Gespräch mit Nele während der Fahrt zu den Kranichen und von Florians Behauptung, sie habe sich verfolgt gefühlt, er setzte einen Stein neben den anderen, bis sich ein furchtbares Bild ergab, bis kein Zweifel mehr möglich war, doch als er geendet hatte, war es still im Raum, und der Beamte verzog das Gesicht, als hätte Gabor fantasiert.
    »Nehmen wir an, dieser Flüchtling ist tatsächlich doch noch nach Deutschland gelangt. Warum sollte er Ihre Tochter entführen?«
    »Das habe ich doch gesagt: Weil er denkt, dass ich ihn verraten habe. Er wurde misshandelt, geschlagen. Um sich zu rächen. Er spielt verrückt. Sie hätten den Hass sehen sollen.« Gabor wusste nicht weiter. »Finden Sie diesen Mann. Finden Sie Nele.«
    Der Polizist fixierte ihn noch immer ungläubig, dann erhob er sich:
    »Kommen Sie. Wir erstellen ein Phantombild.«
    Berit hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt. Zusammengesunken saß sie auf dem Stuhl, den Blick apathisch auf den Boden gerichtet, doch als Gabor jetzt zum Tisch mit dem Computer ging, stand sie auf und verließ den Raum.
    »Berit, warte, bitte!«, rief er. Er folgte ihr, aber sie reagierte nicht, sondern ging weiter den Gang entlang, in der Mitte, als hätte sie Angst vor der Nähe der Wände. Hilflos sah er ihr hinterher.
    Mit ein paar Klicks öffnete der Beamte das Programm zur Erstellung von Phantombildern, und als Gabor die Reihe der zur Auswahl stehenden Kopfformen am unteren Bildschirmrand sah, begann sein Herz zu rasen. Er konnte sich mit einem Mal an nichts erinnern.
    »Das breite?«, fragte der Polizist, als Gabor mit zitterndem Finger auf eine Form gezeigt hatte.
    »Ich glaube, ich weiß nicht.«
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Manchen Zeugen hilft es, die Augen zu schließen.« Der Polizist lächelte beinahe mitfühlend jetzt.
    Angestrengt starrte Gabor auf den Umriss eines Schädels und die weiße Fläche in der Mitte. Er fügte das Kinn hinzu und das Haar, doch die

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