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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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Gefallen tun?« Er presste Daumen und Zeigefinger gegen seine Nasenwurzel, konnte ihre Zweifel förmlich hören.
    Gabor wartete in einem Aufenthaltsraum der Augenklinik im nächsten Stockwerk. Die gleichen grünen Schalensitze aus Plastik, die gleiche Kaffeemaschine wie in der Neurologie, aber die beigen Samtvorhänge schirmten das Tageslicht ab und tauchten den Raum in beruhigendes Halbdunkel. Aus winzigen Lautsprechern drang leise Musik, und in einem Aquarium drehten ein paar Fische ihre meditativen Runden. Lavinia meldete sich schneller als erwartet.
    »Keine anonymen Aufnahmen, weder bei uns noch in der Psychiatrie. Ich habe auch kein Mädchen in dem Alter gesehen.« Sie schwieg. Nach einer Weile sagte sie: »Tut mir leid.« Er schämte sich, als hätte er ihr volltrunken die intimsten Geheimnisse anvertraut, und war erleichtert, dass sie so tat, als wäre nichts gewesen. »Wahrscheinlich ist sie längst wieder zu Hause.«
    »Ja«, sagte er. »Danke.«
    »Tut mir leid«, wiederholte sie.
    Es war ihm unmöglich, nach Hause zu fahren. Er hatte nie daran geglaubt, dass Nele in der Klinik war, er hatte nur vor Berits Enttäuschung fliehen wollen, vor ihrem fassungslosen Blick. Die Buchhandlung hatte geschlossen, auch das Gitter des Blumenladens war herabgelassen. Dort, wo am Vormittag Dutzende Kübel mit Sträußen und Stauden gestanden hatten, glänzte der Bürgersteig feucht. Ziellos lief er durch die Straßen. Es war windig und kaum jemand unterwegs. Er saß gedankenverloren in einer Cafébar in der Nähe, als ihn zwei Männer ansprachen. Der eine hielt ihm einen Polizeiausweis entgegen, der zweite zeigte ihm das Foto eines jungen Mädchens und das Phantombild eines Mannes mit eng stehenden Augen.
    »Haben Sie diese beiden Personen vielleicht gesehen?«
    Er betrachtete das Gesicht seiner Tochter, die lächerliche Schwarz-Weiß-Abbildung eines lockigen Mannes. Tränen schossen ihm in die Augen, während er den Kopf schüttelte.

13
    Er konnte sich nicht erinnern. Wann hatten sie begonnen, nur noch Andeutungen über ihre Tochter auszutauschen, wann war das verlegene Schweigen zwischen sie getreten? Nicht erst diesen Sommer, vorher schon. Nele war aufgeblüht, strahlend und ernst, und mit ihrem Rückzug von ihren Eltern hatten auch Berit und er aufgehört, über sie zu sprechen, als wollten sie Neles Verwandlung durch ihre Einschätzungen nicht behindern oder durch ihre Zurückhaltung gar an ihr teilhaben. Nele hatte begonnen, anders wahrzunehmen, kraftvoller, mit einer nach innen gerichteten Intensität, als hätte sich der kindliche Märchenprospekt mit Schäfchenwolken und sattgrünen Wiesen im Hintergrund ihres Erlebens in eine tiefe, dramatische Landschaft verwandelt. Aber die Verbundenheit, die er stärker empfand, seit sie nicht mehr da war, das klare Bild, dass sich plötzlich von ihr zeigte, passte nicht zu dem, was Berit, die den ganzen Abend telefoniert hatte, über sie in Erfahrung brachte. Nele würde mehr gefürchtet als gemocht. Nele sei zurückgezogen, arrogant, launisch, dann wieder großzügig, gut gelaunt, mitreißend. Berit schien von diesen Einschätzungen verwirrt wie er, aber auch gekränkt. Die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, saß sie in ihrem Sessel und sprach langsam, als redete sie über einen Traum, an den sie sich nur bruchstückhaft erinnerte. Nele habe Jungen um den Finger gewickelt, habe anderen nur dann geholfen, wenn sie sich sicher sein konnte, dass sie niemals zu ihr aufschließen würden. Er wusste nicht, ob er Berits Zusammenfassungen ernst nehmen konnte oder ob sie die Aussagen der Klassenkameradinnen nicht zuspitzte und verzerrte, ob ihre Bitternis nicht Ausdruck ihrer Enttäuschung darüber war, selbst kaum etwas über Nele zu wissen. Dennoch wollte er, dass sie weiterredete. Er hoffte noch immer, dass sich in Berits Worten ein verräterisches Detail versteckte, versuchte wie sie zu glauben, dass Neles Verschwinden nichts mit diesem Mann zu tun hatte.
    »Was sagt Florian?«, fragte er. »Er hat sie gemocht. Hast du noch einmal mit Florian gesprochen?«
    Doch Berit starrte ihn nur feindlich an, als hätte sie seine Frage wieder an sein Vergehen erinnert.
    Er schlief unten im Wohnzimmer und erwachte davon, dass Berit an seinen Schultern rüttelte. Es war tief in der Nacht. Die Laterne vom Straßenrand warf den Schatten der Birke als Keil über die Bücherwand.
    »Yann. Es ist Yann!«, sagte sie. »Deinetwegen ist er bald ohne Arbeit.«
    »Warum sollte Yann

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