Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
Vom Netzwerk:
Polizistin mit dem Pferdeschwanz, ihr schweigsamer Hintergrundkollege und Gabor, sie alle blickten auf die Karte, während er sie auf den Küchentisch zurücklegte, wo schon die ersten vier Karten eine unumstößliche Indizienkette bildeten. Die Polizistin sprach langsam und laut, als fürchtete sie, sich anders nicht verständlich zu machen.
    »Unzählige Abdrücke, wie Sie sehen. Ihre Spuren«, sie sah zu Gabor, »sind auf allen Karten zu finden.« Wie zum Beweis wies sie auf die wellenförmigen Linienmuster, die von seinen Fingern stammen sollten. »Sonst finden sich auf allen Karten nur die hier.« Sie zeigte auf eine Spur am oberen Rand der Karte, die heute gekommen war, auf den Umriss eines Daumens, in dessen Mitte ein schwarzer Fleck prangte. Er wusste, was das bedeutete, bevor sie es sagte. »Dies ist ein Abdruck von jemandem, der die Hautstruktur an seinen Fingern zerstört hat. Seit einigen Jahren verbrennen oder verätzen sich Flüchtlinge die Fingerkuppen, damit die Scanner sie nicht mehr identifizieren können.« Die Polizistin wies auch auf die anderen Karten. Überall gab es dieses dunkle Oval, mal ausschnitthaft, mal war es ganz erhalten.
    »Es liegt nahe, dass tatsächlich alle Karten von einer Person abgeschickt wurden, von einer Person, die sich die Fingerkuppen verbrannt hat.«
    Die junge Frau holte Luft, ihre Wangen blähten sich, während ihr Kollege abwechselnd zu Berit und zu ihm blickte, als prüfte er ihre Reaktion. »Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ist dies hier Neles Fingerabdruck. Auf der Karte, die heute kam, befindet sich Neles Zeigefingerabdruck.«
    Es war die schmalste Spur, und sie verlief senkrecht vom unteren Rand in der Mitte der Karte nach oben. Es war eine auffällige Spur, und man konnte Neles schmalen Zeigefinger bis zum obersten Gelenk klar erkennen. Für einen Moment wurde Gabor schwarz vor Augen.
    »Was heißt das?«, fragte er.
    Er sah das Gesicht der Polizistin überdeutlich. Er sah die braune Spange, die ihr Haar an der Stirn festklemmte, und die winzigen Fältchen auf der Stirn, die Poren ihrer reinen Haut und den Flaum auf ihren Wangenknochen.
    »Das kann auch einfach nur bedeuten, dass Ihre Tochter diese Karte durch Zufall in die Finger bekommen hat. Auf der Insel. Wäre das möglich gewesen?«
    Er hatte den Umschlag mit den Karten vor Berit geheim gehalten, aber natürlich war es möglich, dass er ihn oder einzelne Karten irrtümlich offen liegen gelassen hatte. Natürlich war es möglich, dass Nele sie gefunden hatte.
    »Sicher«, sagte er.
    Die Polizistin schwieg, dann sagte sie:
    »Diese Karte wurde gestern eingeworfen, nach dem Verschwinden Ihrer Tochter, und zwar in der Nähe des Nordbahnhofs, nur einen Steinwurf von der Klinik entfernt.« Sie blickte kurz zu ihrem Kollegen, dann wieder zu ihnen. »Hören Sie: Wir ermitteln in alle Richtungen. Wir verfolgen jede Spur. Aber nach dieser Karte besteht der Verdacht, dass Ihre Tochter tatsächlich in der Gewalt dieses Mannes ist, den Sie auf der Fähre gesehen haben. Und es ist möglich, dass er uns genau das mit dieser Karte sagen möchte.«
    Sie sprach nur die Vermutung aus, die er selbst in die Welt gesetzt hatte, doch jetzt, wo sein Verdacht der Wirklichkeit entsprechen sollte, wehrte sich jede Faser seines Körpers gegen diesen Schluss. »Das ist absurd«, sagte Gabor. »Auf dieser Karte ist nichts zu sehen. Sie kam genau so, wie ich sie geschrieben habe. Ohne Ihr Zauberpulver wäre von den Abdrücken nichts zu sehen. Was ist das für eine Nachricht, wenn man sie fast übersieht?«
    »Der Mann ist nicht dumm. Er weiß, dass Sie zur Polizei gehen und dass wir die Karte untersuchen werden.« Sie holte wieder Luft. »Aber wie gesagt: Der Abdruck kann auch Wochen alt sein und nichts mit Neles Verschwinden zu tun haben – obwohl er dann wahrscheinlich nicht so unversehrt wäre.«
    Gabor starrte auf den Fingerabdruck seiner Tochter. Er war länger als alle anderen Spuren.Mit seiner klaren Kontur sah er sogar fast so aus wie die Fingerabdrücke, die sie für die Ermittlungen hatten abgeben müssen, wie die, die jeder Verdächtige oder aufgegriffene Flüchtling in die Karten der Polizei stempelt. Falls der Mann Nele tatsächlich entführt hatte, würde er, das kündigte die Karte auf perfide Weise an, Nele für das leiden lassen, was ihm widerfahren war. Gabor kämpfte gegen plötzlich einsetzenden Brechreiz an.
    Die Polizisten waren zurückgetreten, als wollten sie ihn mit seinen Gedanken allein lassen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher