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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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Nähe der Bäume oder Felsen kleine Feuer. Vier, sechs, nie mehr als zehn Personen.
    Plakes thronte auf einer Terrasse hundert Meter über dem Meer. Engländer und Russen hatten sich die Häuser mit Blick übers Wasser und die zerklüftete Küste hergerichtet, aber viele der Bauten dahinter waren noch immer unbewohnt. Er hielt an dem Platz, von dem ein Trampelpfad durchs Dorf führte und dann weiter den Hügel hinauf zu den versprengten Kapellen, die sich wie Perlen auf einer verschlungenen Schnur den Berg hinaufzogen. Auch hier war niemand zu sehen, aber als er die Tür des Jeeps schloss und für einen Moment unschlüssig im Wind stand, wurde er das Gefühl nicht los, dass der Platz bis eben belebt gewesen war und sich mit dem näher kommenden Motorengeräusch geleert hatte. Er ging eine Gasse entlang, hohe Mauern sicherten die Grundstücke zu den Felsen hin, die Häuser auf der anderen Seite wirkten verlassen oder waren verfallen. In einer mit Gestrüpp zugewachsenen Baulücke hingen Jeans an einer Wäscheleine und aus einem billigen Radiogerät, das neben einem Campingstuhl stand, kam leise Musik, aber er konnte niemanden entdecken. Als Gabor zum Platz zurückkam, sah er einen Mann den Treppensteig zum Wasser hinuntereilen.
    Ilias’ Laden hatte geöffnet, aber es brannte kein Licht in den Fenstern und durch die angelehnte Tür drangen auch keine Stimmen. Nach ihrer Wanderung war er mit Nele hier eingekehrt. Sie mochte die Spelunke, eine Mischung aus Museum, Bücherei und Galerie, in der es gutes Eis gab und Limonade in altertümlichen Glasflaschen. Als er näher kam, sah er, dass niemand hinterm Tresen stand. Er klopfte und schob die Tür auf. Die beiden Schaufensterpuppen in griechischen Trachten bewachten wie eh und je den Durchgang zur Küche. Der Ventilator an der Decke stand still, er sah die Fotos an den Wänden, die Regale mit Büchern, Spielen und Plunder.
    »Ilias?«
    Er hörte ein Räuspern, dann eine Stimme aus der Ecke hinter der Tür.
    »He is not here. But he will come.«
    Gabor machte einen Schritt und blieb erschrocken stehen. Vor ihm saß der Mann von der Fähre: die Locken, die dichten gebogenen Augenbrauen und die eingefallenen Wangen mit dem Schatten eines Bartes, der stechende und gleichzeitig gleichmütige Blick. »He ist not here«, wiederholte der Mann, doch als er nach einem Teeglas griff und dabei den Kopf drehte, war Gabor sich nicht mehr sicher. Die Haut war dunkler, sein Gesicht schmaler als das des anderen. Gabor sank in einen Stuhl und starrte den Mann an, bis er den Blick von ihm losriss und sich wieder beruhigte.
    Die Fotos zeigten Soldaten, die vor kargen Inselbergen posierten, Fischer mit gefangenen Babyhaien und Männer, die auf einem Abhang lagen, betrunken eingeschlafen nach dem Osterfest, zu dem sie Töpfe mit Essen, Weinkanister, Geschirr und Klappstühle bis zur letzten Kapelle geschleppt hatten. Vor nicht einmal zwei Monaten hatte er mit Nele hier gesessen und sie hatte die Schlangenhäute unter der Glasplatte eines Tisches bestaunt, während Ilias hinterm Tresen Gläser polierte.
    Er sah den Mann an, wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Er dachte an die Schmierereien und an die Lager am Strand und daran, was Leonidas am Morgen gesagt hatte. Ist kaum noch jemand hier, zumindest kaum jemand von uns . Er sah die gusseisernen Töpfe und Pfannen, die in der Küche an Schlachterhaken über dem Herd hingen. Die Schaufensterpuppen trugen Röcke über Strumpfhosen und spitze Schuhe mit Bommeln, die Tracht der Soldaten vom Syntagma-Platz in Athen, die alle halbe Stunde unter dem Schnappen Dutzender Kameras aufeinander zuschreiten. Der Bolzen des Türschlosses, bemerkte er, ragte aus dem Blatt der Eingangstür hervor, als wäre sie aufgebrochen worden. Er blickte dem Mann direkt in die Augen, aber er reagierte nicht, ließ den Blick einfach durch sich hindurchgehen.
    »Wann kommt Ilias?«
    »I don’t know.«
    Zurück im Hafenort, sah er sie überall. Auf Bänken an der Promenade oder im Schneidersitz auf dem verdorrten Gras der Grünanlagen in der Nähe des Fußballplatzes. Sie besetzten die Schaukeln der Spielplätze oder schlenderten durch die Gassen, meist zu zweit, Männer zwischen zwanzig und dreißig, die auf etwas zu warten schienen und von den Einheimischen nicht beachtet wurden. Die Frauen auf dem Markt, die Alten vor der Konditorei und dem Wettbüro, alle taten so, als sähen sie sie nicht, als wären die Männer nicht da.
    Die beiden saßen schon

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