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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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Junge zur Schule. Das Gymnasium. Oben in der Chora.«
    Vom ewigen frühen Aufstehen war sein Gesicht grau wie das eines Bäckers. Tiefe Falten unterteilten seine Stirn, liefen von den Augenwinkeln in die Wangen hinein, obwohl er jünger sein musste als Gabor. Er hatte die Insel nur zum Studium verlassen, war nach einigen Jahren wieder aus Thessaloniki zurückgekehrt. Ihn umgab eine müde Ruhe, eine fatalistische Klugheit, die aus der Erfahrung rührte, an einem der schönsten Orte der Welt seine Träume nicht verwirklicht zu haben.
    »Was steht da? Drüben auf der Bauruine? Im Sommer stand da noch nichts.« Sie blickten zum Betongerippe auf der anderen Seite, auf dem er eines Morgens das tanzende Paar beobachtet hatte, das Paar von der Karte. » OΧΙ «, » NEIN « und » EΞΩ «, » RAUS « war auf die oberste Geschossdecke geschmiert. Und ein drittes Wort, das er nicht lesen konnte. »Was bedeutet dieses Wort?«, fragte Gabor.
    Leonidas kniff die Augen zusammen, als hätte er Schwierigkeiten, es auf die Entfernung zu entziffern. Aus dem Inneren des Ladens drang der gleiche Radiojingle wie im Sommer. » Βρωμιά . Dreck. Müll. Abfall«, sagte er.
    Am Markt priesen die Händler lautstark ihre Waren an, aber es waren nur ein paar Hausfrauen unterwegs. Ein Pick-up mit Wassermelonen versperrte die Uferstraße, die Frau im Kiosk starrte auf einen winzigen Bildschirm. Über allem das Sausen des Windes, das Schlagen der Fallen an den Masten der Segelboote. Er lieh sich bei der letzten geöffneten Autovermietung einen Jeep und nahm die Serpentinenstraße hoch zur Chora. Das Olivenfeld, der Hügelkamm mit den Windmühlen, die ersten Häuser des Dorfes, das sich wie das Basiscamp eines Bergsteigerteams am Fuße des steil aufragenden Profitis in eine Mulde drückte – er sah die vertraute Landschaft mit einem Mal voller Groll, wie hintergangen von ihrem abweisenden Reiz.
    Er ließ das Auto am Platz, an dem die Busse wendeten. Er wusste, wo die Schule lag, neben dem Friedhof am Ende des Dorfs, verirrte sich aber auch dieses Mal in den Gassen. Jedes fünfte Haus entpuppte sich als Kapelle, und die meisten Läden der tief in den Hauswänden sitzenden Fenster waren geschlossen, aber das musste nichts heißen. Selbst wenn jemand da war, drangen meist weder Licht noch Laute nach draußen, als gälte es noch immer, sich vor Piraten zu verstecken. Gabor legte die Hand an eine gekalkte Außenwand. Wolken, zum Greifen nah, trieben wie im Zeitraffer über die Häuser hinweg.
    Es war Pause. In kleinen Grüppchen standen die Schüler auf dem Hof. Die Jüngeren spielten Fußball, die Ältesten rauchten jenseits einer niedrigen Mauer. Einige von ihnen musste er in den Restaurants oder Cafés ihrer Eltern in den Orten an der Küste gesehen haben, aber er erkannte nur ein groß gewachsenes Mädchen, die Tochter einer Deutschen und eines Einheimischen. Als Gabor durch das niedrige Eisentor trat, veränderte sich etwas, obwohl niemand ihn direkt ansah, aber die Bewegungen bekamen etwas Verzögertes, Abwartendes und das Geschrei wurde leiser. Eine Lehrerin, rauchend in einer windstillen Ecke, hob den Kopf, musterte ihn unschlüssig, wandte sich wieder den Tasten ihres Mobiltelefons zu.
    »Sind Sie nicht der Vater von Nele?«, fragte das Mädchen auf Deutsch.
    Er war überrascht, dass sie ihn kannte. Sofort bildete sich eine Traube Neugieriger um sie.
    »Nele. Kennst du sie?«
    »Wie geht’s?«, sagte einer. »Guten Tag.«
    »Hast du sie hier gesehen?«
    »Nein. Im Sommer, aber jetzt nicht.«
    »Weißt du, mit wem sie im Sommer zusammen war?«
    »Was?«
    »Mit welchem Jungen sie zusammen war?«
    »Nein. Was ist mit ihr? Ich habe die Suchmeldungen gesehen.«
    »Sie ist weggelaufen. Sie muss hier auf der Insel sein.«
    Er drängte ihr sein Telefon auf, als könnte ihr mehr einfallen, wenn sie Nele noch einmal betrachtete, aber sie gab es ihm gleich wieder zurück.
    Er musterte die Jungen, nicht die Kinder, die bei ihm standen und ihn ungläubig angafften, sondern die Raucher auf der anderen Seite, siebzehn, achtzehn Jahre alt, mit hängenden Hosen und Kapuzenpullis. Sie traten mit ihren Turnschuhen gegen die Mauer und schauten kaum hin, als er zu ihnen ging und ihnen das Foto zeigte, schüttelten gleichgültig den Kopf.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Lehrerin. Ihre Unfreundlichkeit, ihr Widerwille, ihre schlechte Laune darüber, dass er sie gezwungen hatte, die windgeschützte Nische zu verlassen, machten ihn stumm vor Wut.
    Am

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