Gespielin des Feuers: Roman (German Edition)
Trotzdem ging er auf die nächste Mission, obwohl er gewusst haben musste, dass er womöglich nicht zurückkehren und das klärende Gespräch mit seinem Sohn ausbleiben würde.
Wäre es anders gewesen – was hätte der Vater gesagt, um wiedergutzumachen, dass er ihn über zwanzig Jahre lang vernachlässigt hatte? Trance erriet die Antwort. Nichts.
Und Rik? Irgendwie hatte sie sein Leben innerhalb weniger Tage vervollkommnet. Als er die Ironie dieses Gedankens registrierte, stieg beinahe ein Schluchzen in seiner Kehle auf. Aber er riss sich zusammen. Wie man jemandem verzieh oder wie einem selbst verziehen wurde – davon verstand er nichts. In seinem Leben hatte es an engeren Beziehungen gemangelt. Und so war er niemals in Situationen geraten, wo es wechselseitige Verletzungen gegeben hätte.
Neema eilte an ihm vorbei und sprach in ihr Walkie-Talkie. »Gerade lässt Ulrika die Wölfin raus. Mal sehen, ob sie allein klarkommt.«
Bestürzt entfernte er seine Hand vom Foto des Vaters. Wieso gewann Rik eine immer stärkere Kontrolle über sich selbst, während er seine eigene zusehends verlor?
NACH DEM DESASTER IN TRANCES HAUS arbeitete Rik tagelang mit Neema an ihrer Selbstkontrolle. Am Vortag war Kira zu ihr gekommen und hatte sie zu einer Verwandlung überreden wollen. Ohne Erfolg.
Rik beherrschte das Biest, solange es in ihrem Innern blieb. Doch sie misstraute ihm, sobald es aus ihr nach draußen hervorbrechen wollte.
Warum es so wichtig war, dass die Wölfin getestet wurde, verstand sie nicht.
Nun wanderte sie mit Kira, Neema und Sela Kahne, einer Forscherin aus dem kryptozoologischen Department, in den Wald, wo sie mit Trance vor Kurzem das Picknick gehabt hatte.
Dabei erklärte Kira, worum es ging. »Dein Tier soll sich wohlfühlen, wenn es unter Kontrolle gehalten wird. Um eine friedliche Koexistenz in deinem Körper zu erzielen, müsst ihr beide einander vertrauen.«
»Wenn ich es nicht herauslasse, ist das Vertrauen kein Problem.«
»Findest du das fair?«, fragte Kira leise. »Genauso wie du ist es ein Opfer der Umstände. Um die Wölfin früher glücklich zu machen, musstest du manchmal Dinge tun, die dir missfielen. Jetzt würde es genügen, sie hin und wieder frei herumlaufen zu lassen.«
»Und wenn ich ihr das erlaube, muss ich ihr vertrauen«, seufzte Rik. Nun erreichten sie eine kleine Lichtung – von einem schmalen Bach geteilt, der aus der Richtung des Sees heranfloss. »Wo steckt denn eigentlich dein überfürsorglicher Gatte?«
»Oh …« Kira lächelte geheimnisvoll und ein bisschen tückisch. »In der Nähe.«
Rik blieb stehen und schnüffelte. Obwohl sie nichts witterte, spürte sie die Anwesenheit mehrerer Leute. Zweifellos zählte auch Ender dazu. Die anderen gehörten wahrscheinlich zum ACRO-Sicherheitspersonal, mit Betäubungswaffen gerüstet, falls irgendwas schrecklich schieflaufen sollte.
Immerhin war sie dankbar, weil Trance die Szene nicht beobachten würde.
Weil er nicht sehen würde, wie sie sich in das hässliche Monstrum verwandelte, das seinen Vater getötet hatte.
Aber dieses hässliche Monstrum war sie . Denn es hatte einfach nur vollendet, was Rik zuvor angefangen hatte.
Sela legte ihr eine Hand auf den Unterarm. Dann rückte sie die Kamera zurecht, die ihr um den Hals hing. »Bist du okay?« Sie war eine hochgewachsene Frau, fast so groß wie Rik, aber mit ihren smaragdgrünen Augen und schwarzen Haaren wirkte sie exotischer.
»Ja«, wisperte Rik, »ich werde es schaffen.« Der Reihe nach schaute sie die drei Frauen an. »Wenn Cujo jemanden verletzt, wisst ihr, was ihr tun müsst.«
»Dazu wird es nicht kommen«, entschied Kira. »Wirklich nicht. Ich glaube an euch beide.«
O Gott, woher nimmt die Frau ihre Gelassenheit, ihr vertrauensvolles Wesen? Nicht, dass Rik sich beklagte. Von beklemmender Nervosität erfüllt, schätzte sie Kiras ruhige Aura, die alles ringsum zu beeinflussen schien.
»Fangen wir an.« Neemas sachliche Stimme beendete den süßen Moment im Lassie-Stil und erinnerte Rik an die Abwesenheit sanfter Hunde, die nur Gutes taten.
Die Schultern gestrafft, entfernte sie sich von den drei Frauen und ging zum Ufer des Bachs. Als ahnte die Wölfin, was geschehen würde, begann sie sich zu regen. Mit jeder Sekunde wuchs ihre Unrast. Riks Haut prickelte, und sie fühlte die Anspannung ihrer Muskeln.
Hastig zog sie sich aus. Auch in bekleidetem Zustand konnte sie ihre tierische Gestalt annehmen. Doch dann wären die Sachen ruiniert, und die
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