Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesponnen aus Gefuehlen

Gesponnen aus Gefuehlen

Titel: Gesponnen aus Gefuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
Vom Netzwerk:
kleine Gefrierboxen aussahen. Als sie Lucy sah, kam sie auf sie zu.
    »Was ist los?«, fragte sie. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
    »Er hat mich gefeuert«, murmelte Lucy.
    »Warum?«, fragte Marie fassungslos.
    »Er gibt mir die Schuld. Er glaubt, dass ich das Feuer gelegt habe.« Jetzt kamen doch Tränen.
    »Ach Süße.« Marie schloss ihre Freundin in die Arme. »Er ist bloß wütend. Das wird sich aufklären. Du wirst sehen und dann wird er sich bei dir entschuldigen.«
    Lucy schniefte. »Meinst du?«, fragte sie kläglich.
    Marie nickte. »Da bin ich ganz sicher.« Sie reichte Lucy ein Taschentuch. »Willst du dich jetzt umsehen?«, fragte sie und strich ihr tröstend über den Arm.
    »Und was, wenn er mich erwischt?«
    Marie und die anderen Mädchen pusteten aus.
    »Der kommt nie herunter. Ich glaube, er hat Angst, dass das ganze Gewölbe einstürzt«, erklärte eins der Mädchen.
    »Oder er fürchtet sich vor den Gespenstern«, setzte Marie hinzu und entlockte Lucy damit ein Lächeln.
    »Kann ich euch helfen?«, fragte sie.
    »Nein«, winkte Marie ab. »Das ist eine große Sauerei und wir haben keinen Schutzanzug mehr. Lucy betrachtete die drei Mädchen, deren weiße Schutzanzüge von schwarzen fettigen Schlieren verdreckt waren.
    »Am besten du beeilst dich. Colin wird schon ungeduldig sein«, raunte Marie ihr zu. »Ich bringe später deine Sachen mit. Jedenfalls die, die nicht verbrannt sind.«
    »Ich brauche nicht lange«, sagte Lucy und wandte sich den Tiefen des Archivs zu. Zwei Reihen weiter schlüpfte sie unter dem rot-weißen Absperrband hindurch, das den noch begehbaren Teil des Archivs von dem Rest trennte. Dieser Bereich war am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Grauen erfasste sie, als ihr vor Augen trat, was sich hier abgespielt hatte.
    Regale waren umgestürzt und fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die früheren Gänge waren nicht mehr zu erkennen. Als Lucy zur Decke schaute, sah sie, dass die ohnehin verblichenen Malereien unter dem Ruß verschwunden waren. Zwischen den Trümmern lagen schwarze Klumpen. Das mussten die kläglichen Überbleibsel der Kartons mit den Büchern sein, die das Feuer und das Löschwasser vollständig zerstört hatte.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte sie ein ums andere Mal. »Ich mache das wieder gut, versprochen.« Sie stieg zwischen den Überresten des Archivs hindurch, in der Hoffnung, wenigstens ein unversehrtes Buch zu finden. Oftmals musste sie einen anderen Weg einschlagen, da verkohlte Balken ihr den Durchgang verwehrten. Je tiefer sie in das unterirdische Gewölbe vordrang, umso geringer war das Ausmaß der Schäden wieder. Es schien so, als wäre der Brand direkt in der Nähe ihres Büros ausgebrochen. Zwar hatte die Hitze des Feuers viele Kartons verbrannt, doch die Regale waren weniger in Mitleidenschaft gezogen. Lucy schöpfte Hoffnung, dass hier wie im vorderen Bereich des Archivs mehr Bücher erhalten waren. Diese musste sie finden. Das Flutlicht, das große Teile des Archivs erhellte, wurde in diesem hinteren Bereich schwächer. Schon sah sie die zerstörten Kartons nur noch undeutlich. Sie ärgerte sich, dass sie keine Taschenlampe mitgenommen hatte. Der ohnehin unzuverlässige Strom war abgestellt worden. Die Flutlichter wurden über Generatoren mit Strom versorgt. Langsam tastete sie sich an einem Regal tiefer in einen beinahe unversehrten Gang hinein. Als die Finsternis sie vollständig umfing, blieb sie stehen.
    »Hallo«, flüsterte sie. »Hört ihr mich?« Beklemmende Stille antwortete ihr. »Es tut mir so leid. Ich hätte ihn nicht in das Archiv lassen dürfen. Aber ich hatte keine Ahnung, wer er ist. Bitte redet mit mir. Sagt mir, was ich tun muss.«
    Sie schwieg und wartete auf Antwort. Alles blieb still. Der Schmerz in ihrem Kopf war nichts gegen die Verzweiflung, die sich in ihrem Inneren ausbreitete. Würden die Bücher nie mehr mit ihr sprechen? Das durfte nicht sein. »Das müsst ihr mir glauben. Er hat mich belogen.«
    »Wir geben dir keine Schuld«, vernahm sie plötzlich eine Stimme. »Wir wissen, wer es getan hat.«
    Erleichterung durchströmte Lucy. »Ich hatte solche Angst, dass ihr nicht mehr mit mir sprecht. Solche Angst, dass ihr tot seid.«
    »Viele von uns haben nicht überlebt, die anderen sind erschöpft. Der Rauch und der Qualm haben uns unsere Energie entzogen. Wir brauchen dich, Lucy, deshalb haben sich viele von uns dem Feuer geopfert. Damit du leben kannst. Damit du uns

Weitere Kostenlose Bücher