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Gesponnen aus Gefuehlen

Gesponnen aus Gefuehlen

Titel: Gesponnen aus Gefuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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konnte Nathan nur entwischen, wenn sie ihre Taktik änderte. Sie sah sich um, entdeckte aber keine geeignete Stelle. Immer tiefer ging es hinein in die sich ausbreitende Dunkelheit. Das ohnehin nur graue Tageslicht vermochte es kaum, die Baumwipfel zu durchdringen, geschweige denn den Waldboden zu erreichen. Die dicken Stämme der Bäume schienen zusammenzurücken. Behutsam schlängelte Lucy sich hindurch, immer auf Nathans Geräusche lauschend. Dabei versuchte sie, ihre Spur zu verwischen. Manchmal war er näher und manchmal weiter entfernt. Einmal hörte sie ihn überhaupt nicht mehr. Wahrscheinlich lauschte Nathan ebenfalls. Lucy wagte nicht zu atmen, aus Angst, dass er sie hörte. Das Schlagen ihres Herzens konnte sie jedoch nicht unterdrücken. Fest presste sie sich an einen der Baumstämme. Lange durfte sie nicht ausruhen. Sie musste weiter.
    Plötzlich stand Lucy vor einer moosverhangenen steinernen Wand. Die Felsstufe war wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht. Sie war so steil, dass Lucy die Möglichkeit, daran hinaufzuklettern, sofort verwarf. Das hätte sie nicht einmal mit irgendwelchen Hilfsmitteln geschafft. Kleine Felsvorsprünge waren zu erkennen und aus dem mit Moosen und Flechten bewachsenen Untergrund wuchsen hier und da Büsche hervor. Lucy war nie besonders sportlich gewesen. Hier würde sie sich mit Sicherheit den Hals brechen. Da der Rückweg versperrt war, hangelte Lucy sich an der Wand entlang. Sie hoffte, eine Höhle oder Nische zu finden, in der sie sich verstecken konnte. Von Nathan war nichts zu hören. Erleichtert atmete sie auf. Wenn das Glück ihr hold war, hatte sie ihn für den Moment abgehängt. Dass er nicht aufgab, war sicher. Lucy stolperte und schlitterte über den feuchten glitschigen Untergrund. Nasses Blattwerk hatte sich auf dem felsigen Boden gesammelt, was das Vorwärtskommen erschwerte. Hinzu kam, dass der Pfad, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte, nach einiger Zeit abwärts zu führen begann. Lucy war so konzentriert, auf jeden einzelnen Schritt zu achten, dass sie einen Moment vergaß, auf die Geräusche zu lauschen, die Nathan verursachte. Umso mehr erschrak sie, als in ihrer Nähe seine Stimme erklang.
    »Lucy, verdammt. Jetzt komm zurück. Wenn du dich verirrst, bist du verloren.«
    Sie strauchelte und drohte, das Gleichgewicht zu verlieren. Voller Furcht drückte sie sich an die Wand und grub ihre Finger in das dichte Moos. Trotzdem zog eine unsichtbare Hand ihr die Füße weg. Sie landete auf dem Po und ohne eine Möglichkeit, sich zwischen den feuchten, kalten Blättern festzuhalten, rutschte sie unaufhörlich abwärts. Sie versuchte nach etwas zu greifen, doch es gelang ihr nicht. Wenn sie damit erfolgreich gewesen war, Nathan von ihrer Spur abzulenken, musste er spätestens jetzt wieder auf sie aufmerksam werden. Sie glitt über einen Stein und konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken. Ein Bein verfing sich zwischen Efeuranken und sie drehte sich, sodass sie mit dem Kopf voran den Berg hinunterrutschte. Wenn sie gegen einen der dicken Baumstämme stieß, war es mit ihr vorbei. Mit letzter Kraft griff sie nach einem Wurzelstück, das wie ein Rettungsanker aus der Erde herausragte. Ihr Fall wurde gebremst und ein schmerzhafter Ruck fuhr durch sie hindurch. Ihre Arme brannten in den Gelenken, doch sie biss sich auf die Lippen, um den Schrei zu unterdrücken. Sie schmeckte Blut und schloss für einen Moment die Augen. Dann begann sie, sich an der Wurzel emporzuziehen. Zu ihrem Erstaunen erkannte sie, dass die Wurzel, an der sie sich festhielt, Teil eines weitverzweigten Systems war. Die Wurzeln reckten sich aus der Erde empor und bildeten ein beinahe undurchdringliches Geflecht. Nachdem Lucy sich hochgezogen und ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, blickte sie sich aufmerksam um. Der Weg zurück erschien von unten viel steiler als von oben. Alles tat ihr weh. Trotzdem versuchte sie, über die Wurzeln zu klettern. Eine nach der anderen überwand sie. Plötzlich gab etwas unter ihr nach. Lucy ruderte mit den Armen, konnte sich aber nirgends festhalten. Dann fiel sie. Der Aufprall war unerwartet weich. Panisch befühlte sie den Untergrund. Sie lag auf einer Schicht Moos. Die Wurzeln hatten eine natürliche Höhle gebildet. Lucy tastete sich voran, bis sie auf eine Seite stieß, an der sie sich mit dem Rücken niederlassen konnte. So fühlte sie sich sicherer. Sie atmete tief aus, um ihre Panik zu unterdrücken. Langsam sickerte fahles Licht durch die

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