Gesponnen aus Gefuehlen
es vorerst dabei zu belassen.
»Du könntest sie fragen«, sagte er nach einer Weile.
»Sie sehen nicht so aus, als ob sie an einem Gespräch interessiert wären.«
»Aber du kannst herausfinden, was sie von uns wollen!«
»Wieso fragst du sie nicht?«, begehrte Lucy auf.
»Das kann ich nicht, Lucy. Vermutlich weißt du es nicht. Aber nur ein einziges Kind des Bundes hat es bisher jemals vermocht, mit den Büchern sprechen. Diese Gabe ist etwas ganz Besonderes.«
»Lucy richtete sich auf. »Du kannst das nicht? Die Bücher reden nicht mit dir?«
»Nein.«
»Das wusste ich nicht«, sagte Lucy.
»Dachte ich mir. Der Bund wird dich nie in Ruhe lassen. Sie fürchten sich vor dir. Es wäre besser, du würdest tun, was Batiste von dir verlangt.«
»Niemals«, flüsterte Lucy mit zitternder Stimme. »Nicht mehr jedes Buch lesen zu können ist die schlimmste Strafe, die mir für das, was du tust, einfällt. Ein Leben ohne Bücher kann ich mir nicht vorstellen. Noch ein Grund, es nicht zu tun. Ich glaube, alles das, was ich bin, bin ich nur durch die Bücher, die ich gelesen habe.«
»Ich habe auch einige Bücher gelesen, Lucy. Kein Grund mich zu bemitleiden«, antwortete Nathan.
»Ja, aber wie hast du sie gelesen? Hast du sie in dein Herz gelassen? Hast du mit ihnen gefiebert, sie geliebt und mit ihnen gelitten? Hast du beim Lesen geweint oder gelacht? War eins der Bücher jemals ein Freund für dich?«
»Liest du mir nun vor, oder nicht?«
Lucy seufzte und blätterte zum Anfang des Buches zurück. Dann begann sie zu lesen. Irgendwann drehte Nathan sich zu ihr um und betrachtete sie dabei.
Während sie las, tauchte Lucy in die Geschichte ein. Sie nahm Daniel, den Helden des Buches, an die Hand und führte ihn, Nathan und sich selbst durch den Friedhof der verlassenen Bücher. Gemeinsam fanden sie das Buch von Julián Carax, das Daniel ein Leben lang begleiten sollte. Während sie las, wünschte sich Lucy, dass jedes Buch der Welt einen Beschützer wie Daniel hätte.
Als Lucy die Augen aufschlug, erschien es ihr für einen Moment, als hätte ein Zauber ihr Leben um mehrere Tage zurückgedreht. Sie lag auf Nathans Brust und er hatte einen Arm fest um sie geschlungen. Seine linke Hand ruhte auf ihrer rechten. Fasziniert betrachtete Lucy die Lichter ihrer Male, die sich gefunden und miteinander verwoben hatten. Sanft umschlangen sie sich und tauchten den dunklen Raum in einen warmen Schein. Verzaubert folgte sie dem schimmernden Tanz. Es fühlte sich gut an, in seinen Armen zu liegen. Sicher und irgendwie richtig. Für einen Moment schloss sie die Augen. Die Wirklichkeit kam mit aller Macht zurück. Es gab einen Unterschied zu dem anderen Morgen. Er war der letzte Mann, dem sie ihr Vertrauen schenken durfte. Als Lucy sich dessen bewusst wurde, zog sie ihre Hand zurück und rückte hastig von ihm ab. Das Buch, das ihr in der Nacht aus der Hand gefallen sein musste, bohrte sich ihr in den Rücken. Sie griff danach und legte es zur Seite. Leise ging sie ins Bad.
Es entging ihr, dass Nathan ihr hinterher sah.
Lucy blickte in den Spiegel. Glänzend graue Augen sahen sie an. Ihre Wangen brannten vor Scham. Das durfte sie nicht zulassen. Er durfte ihr nichts bedeuten. Er durfte nicht solche Gefühle in ihr wecken. Sie kühlte ihre Wangen mit dem restlichen Wasser aus dem Eimer. Er trug die Schuld, dass ihr Leben in Scherben lag, hämmerte sie sich in ihren Kopf.
Nachdem Lucy sich gefangen hatte, ging sie in die Küche, um Tee zu kochen. Zu ihrem Erstaunen stand Nathan bereits dort und machte sich an dem Kocher zu schaffen.
»Ich habe Wasser geholt.« Er deutete auf den Topf, der neben ihm stand. »Hinter dem Haus gibt es eine Quelle.«
Lucy nickte stumm und rieb sich die Arme.
Nathan beobachtete sie. »Vielleicht sollten wir Holz sammeln. Dann können wir den Ofen in der Küche anheizen. Es ist kälter, als ich erwartet habe.«
»Meinst du nicht, dass dann jemand mitkriegt, dass wir hier sind?«, fragte Lucy.
»Immer noch besser, als zu erfrieren. Ich glaube um die Jahreszeit verirrt sich niemand mehr her. Die Hütte ist für Wanderer, die übernachten müssen. Sie wird von der Forstbehörde im Frühjahr und Sommer vermietet. Jetzt ist sie bereits winterfest. Es gibt für sie keinen Grund, herzufahren. Hoffe ich«, setzte er hinzu.
»Dann bin ich fürs Holzsammeln.«
»Lass uns warten, bis es draußen wärmer ist. Jetzt pfeift der Wind zu stark.«
Lucy nickte zustimmend und bröselte Kaffeepulver in zwei
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