Gesponnen aus Gefuehlen
verschwand. Das Letzte, was sie sah, war das verdutzte Gesicht des Mannes. Das hat geklappt, dachte sie und ließ sich auf einen Sitz plumpsen.
Einige Stationen später stieg sie endgültig aus. Sie hatte mit Jules genau geplant, was sie sagen sollte.
»Jules«, meldete sie sich, kaum dass ihre Freundin abgenommen hatte. »Ich bin es, Lucy. Ich bin geflohen. Nathan und sein Großvater hatten mich eingesperrt, aber ich bin ihnen entkommen. Nathan hat mich die ganze Zeit belogen. Ich weiß nicht, wohin.« Sie schluchzte, um der Sache mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das einzige Risiko, das bestand, war, dass wer auch immer das Telefon abhörte – und davon gingen sie aus – erkannte, dass das nicht Lucys Stimme war. Sie versuchte, ihre so gut wie möglich zu verstellen.
»Wo bist du, Lucy?«, spielte Jules ihre Rolle. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Ich war bei der Polizei, aber die wollten nichts unternehmen. Möchtest du nicht nach Hause kommen?«
»Nein, das ist zu gefährlich. Ich bin nicht sicher, ob mir Nathan auflauert. Ich möchte euch nicht in Gefahr bringen, aber ich brauche Geld.«
»Hat er dir wehgetan, Lucy?«, fragte Jules.
»Nein«, schluchzte Marie. »Noch nicht. Aber ich habe schreckliche Angst vor ihm. Wo können wir uns treffen?«
»Ich überlege mir etwas und rufe dich zurück. Wir schaffen das schon.«
»Das hoffe ich.«
Dann legte Marie auf. Wenn ihr Plan aufging, rief derjenige, der das Telefon abhörte, nun Batiste an.
Marie machte sich eilig auf den Weg in die Bibliothek. Sie sollte nicht zu spät dort ankommen.
In der Mittagspause traf Marie sich mit einer Freundin von Jules. Sie gingen gemeinsam Essen und Marie übergab ihr auf der Toilette Lucys Telefon und einen Zettel.
»Fahr zum London Eye, da sind jede Menge Touristen. Jules ruft dich um vier Uhr an. Verstell deine Stimme ein bisschen. Jules wird dir etwas erklären und du liest die Antworten von dem Zettel ab.«
Das Mädchen nickte und seine Augen funkelten vor Neugierde.
»Kriegst du das hin?«
»Na klar, keine Sorge. Was soll ich danach mit dem Handy machen?«
»Wirf es in die Themse«, sagte Marie.
»Erzählt Jules mir irgendwann, was das alles bedeutet?«, fragte das Mädchen.
»Bestimmt«, beruhigte Marie es.
Als Marie nach Hause kam, erwarteten Colin und Jules sie bereits. Sie zogen sie in den Flur. Erleichtert lehnte sie sich von innen gegen die Tür. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
»Was ist los?«, fragte Jules besorgt.
»Das war unheimlich heute Abend. Entweder ich leide an Verfolgungswahn, oder es war nicht nur einer hinter mir her. Hat das mit dem Anruf geklappt?«
Jules nickte. »Jetzt können wir nur hoffen, dass sie uns auf den Leim gehen.«
»Und dass niemandem etwas passiert«, sagte Colin.
»Ist alles vorbereitet?«, fragte Jules ihn.
»Ich denke schon«, antwortete er.
»Wir sind im Vorteil. Wir wissen, dass Batiste de Tremaine skrupellos ist. Er kann uns nicht überraschen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Colin.
»Ich bezweifle, dass der uns behilflich sein wird«, antwortete Jules schnippisch.
Colin verdrehte die Augen.
Jules drehte sich um und stolperte über die Schwelle der Küchentür. Sie stieß mit der Hüfte gegen das altersschwache Büfett.
Colin fing sie auf, bevor sie der Länge nach hinschlug.
»Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort.« Er lachte sie an.
»Du kannst mich mal gerne haben«, fauchte Jules ihn an und rieb die schmerzende Stelle.
»Sofort?«, grinste Colin und ließ sie los.
*********
»Das soll funktionieren?«, fragte Nathan skeptisch.
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte Lucy zurück. »Wenn Batiste den Landsitz verlässt, haben wir wenigstens einen Tag Vorsprung, bis er merkt, dass wir fort sind.«
»Ich glaube kaum, dass er mich unbewacht zurücklässt. Wahrscheinlicher ist, dass er Sirius und Orion nach London schickt und dann möchte ich nicht in der Haut deiner Freunde stecken.«
»Sie machen das nicht nur für mich, sondern auch für dich. Ein wenig Dankbarkeit wäre angebracht. Wir hoffen, dass Batiste die Sache in London selbst in die Hand nimmt. Er ist schon einmal dorthin gefahren, um mich zu treffen. Wenn er ohne Sirius und Orion hierbleibt, umso besser. Er wird uns kaum aufhalten können.«
»Ich bin ja auch dankbar«, lenkte Nathan ein. »Aber der Plan erscheint mir mehr als dilettantisch.«
Lucy verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
»Jetzt sei nicht sauer. Lass uns abwarten, okay? Wir sollten
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