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Gesponnen aus Gefuehlen

Gesponnen aus Gefuehlen

Titel: Gesponnen aus Gefuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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gewundene Treppe führte in die Tiefe unter die Kapelle. Das flackernde Licht der Kerze durchbrach nach und nach die Dunkelheit. Es gab den Blick frei auf die unterschiedlichsten Steinsärge, welche in dem Raum aufgereiht waren. Sie schlich den Gang zwischen den stummen Behältnissen umher. Das mussten Nathans Vorfahren sein, dachte sie, während sie die Namen entzifferte, die in den Stein der Särge geschlagen waren. Ihr wurde kalt. Diese Männer hatten seit Hunderten von Jahren den Menschen ihr Wissen gestohlen. Würden sie zulassen, dass Lucy Nathan befreite und mit ihm floh?
    Ein Geräusch ließ Lucy herumfahren. Es knirschte und mit Entsetzen erkannte sie, dass sich der Sarg, ihr gegenüber in Bewegung setzte. Das steinerne Ungetüm war so verwittert, dass sie den Namen desjenigen de Tremaines, der darin ruhte, nicht hatte lesen können. Ihr blieb keine Zeit zu fliehen. Panisch drückte Lucy ihre Kerze mit angefeuchteten Fingern aus und zwängte sich in eine Nische zwischen zwei Särge. Ihr Herz schlug so laut, dass sie befürchtete, dass es in der gesamten Krypta widerhallte. Sie presste sich die Hand auf den Mund, um ihre hektischen Atemzüge zu unterdrücken. Ein flackerndes Licht näherte sich ihrem Versteck. Lucy hörte schwere Schritte, die eine Treppe heraufstiegen. Sie mussten Orion gehören. Eine andere Erklärung gab es nicht. Das Licht drang jetzt bis in die Nische, in der Lucy sich verborgen hielt. Die Schritte verklangen für einen Moment und Lucy erwartete, dass sich die Fratze von Batistes Ungeheuer über sie beugen würde, doch es setzte sich wieder in Bewegung. Das Kerzenlicht entfernte sich und Lucy hörte, wie Orion die Stufen zur Kapelle erklomm.
    Kurze Zeit später fiel das Eingangstor krachend ins Schloss. Rasch rutschte sie aus dem Spalt hervor. Ein heller Schein wies ihr den Weg. Hinter dem Sarg, den Orion beiseitegeschoben hatte, befand sich ein enger Durchgang und von dort führte eine weitere Treppe in die Tiefe. Lucy konnte ihr Glück nicht fassen. Diesen Weg hätte sie niemals gefunden, wenn Orion den Zugang verschlossen hätte. Er musste sich sehr sicher sein, dass niemand kam, um Nathan zu befreien. Lucy tastete sich die Treppe hinab. Es erschien ihr, als würde sie in eine Gruft steigen. Die Angst vor dem Ungewissen unter ihr wurde verstärkt durch den modrigen Geruch und die feuchte Kühle. Ab und an steckten Fackeln in den steinernen Wänden und erhellten ihren Weg. Ohne diese Hilfe wäre sie gestürzt und hätte sich das Genick gebrochen.
    Am Fuße der Treppe befand sich eine reich verzierte eisenbeschlagene Tür aus massivem Holz. Die Zeit hatte ihr eine dunkle Patina verliehen. Die bronzefarbenen Scharniere und der altertümliche Türgriff drückten deutlich eine Botschaft aus: Unbefugten war der Zutritt nicht gestattet. Lucy rüttelte trotzdem an dem Griff. Dieser war von einer bronzenen Blende umgeben, aber es war kein Schloss zu sehen. Die Tür musste anders verriegelt worden sein. Lucy griff eine der Fackeln aus der Verankerung und leuchtete die Tür ab. Es war nichts zu sehen. Nathan hatte gesagt, dass nur Batiste diese Tür öffnen könnte. Nur der oberste Perfectus kam hinein. Lucy dachte an einen Schlüssel. Schließlich musste auch Orion rein- und rauskommen. Wie machte er das? Lucy sah auf die Uhr. Sie war bereits viel zu lange hier unten. Orion würde sich nicht ewig von Sofia aufhalten lassen. Was sollte sie tun? Sie konnte sich am Fuße der Treppe nirgendwo verstecken. Wenn Orion herunterkam, saß sie in der Falle. Ihre Furcht verstärkte sich, als sie den engen Gang musterte, der hinter ihr in die Höhe führte. Was für Möglichkeiten hatte sie? Lucy hämmerte mit einer Faust gegen die Tür.
    »Nathan«, rief sie. »Hörst du mich?«
    Sie hielt kurz inne und lauschte. Kein Geräusch drang zu ihr. Sie lehnte die Stirn gegen das kalte Holz. Ihre Zuversicht, Nathan im Alleingang befreien zu können, schwand. Sie musste zurück nach oben, wenn sie sich nicht wie ein in die Enge getriebenes Kaninchen fangen lassen wollte. Sie musste sich in der Krypta verstecken und es später noch einmal versuchen. Orion würde kaum die ganze Nacht Wache halten. Das Verlies, in das Batiste Nathan gesperrt hatte, war sicher genug. Ohne Hilfe konnte er nicht fliehen.
    »Ich komme zurück«, flüsterte sie und legte zum Abschied eine Hand an die Tür. Ihr Mal funkelte kurz auf. Lucy musterte es. Dann machte sie sich an den Aufstieg. Je höher sie stieg, umso größer wurde ihre

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