Geständnis auf der Hochzeitsreise
gekleidet in schlichtes graues Musselin, schritten von der Terrasse zum Rosengarten. Begleitet wurden sie von einem riesigen Irischen Wolfshund. Mit einem Korb waren die Schwestern unterwegs, um Blumen zu schneiden.
Miss Phoebe schöpfte tief Atem. „Dies ist der schönste Teil des Tages. Niemand ist hier, nur wir und die Sonne.“
Belustigt erwiderte Miss Penelope: „Mr. Winton würde doch gewiss die Zeit verschönern, oder?“
Phoebe errötete. „Du weißt genau, was ich meine, Penny. Nur so haben wir Gelegenheit, miteinander zu plaudern.“
„Über Mr. Winton?“, fragte Penelope mit einem schwachen Lächeln.
„O Penny, er ist so wunderbar!“, rief Phoebe und bemühte sich nicht länger um Zurückhaltung. „Ich frage mich, warum er Mama aufsucht. Meinst du, er wird womöglich um meine Hand anhalten?“
„Da Richard mich nicht ins Vertrauen gezogen hat, kann ich das nicht sagen“, erwiderte Penelope. „Aber es ist wahrscheinlich. Selbst Mama scheint das zu glauben. Immerhin ist er in der vergangenen Saison in der Stadt geblieben, hat mit dir getanzt, dir Buketts geschickt, ist mit dir ausgefahren und zu uns nach Hause gekommen, als … als das mit Papa geschah, und hat dich seither mit Aufmerksamkeiten verwöhnt. Es deutet also alles darauf hin, dass er an dir interessiert ist.“ Liebevoll umarmte sie ihre Zwillingsschwester.
Die Erinnerung an den Tod von Mr. Ffolliot unterbrach das Gespräch für eine Weile, und die Mädchen schnitten schweigend Rosen. Phoebe wählte die schönsten Blüten aus und legte sie behutsam in den Korb. Schließlich sagte Penelope: „Ich bin überzeugt, dass er schon früher vorgesprochen hätte, aber gewiss hielt er es für unpassend. So wie es aussieht, wirst du bis zum Ende der Trauerzeit warten müssen, ehe du heiraten kannst. Aber das dauert nur noch einen Monat.“
„Geoffrey hindert das nicht daran, das Leben zu genießen!“, erwiderte Phoebe empört.
„Dass Geoffrey sich schlecht benimmt und in jeder Spielhölle der Stadt auftaucht, ist ein Grund mehr, den Anstand zu wahren“, meinte Penelope. „Mama ist sehr in Sorge. Sie hat keinerlei Kontrolle über ihn, nicht einmal Papa hatte das, und jetzt ist er ohne jeden Halt.“
„Ich wünschte, er würde heimkommen“, seufzte Phoebe. „Ich meine, eigentlich wünsche ich das nicht, denn er ist einfach schrecklich, aber dann wissen wir wenigstens, was er vorhat.“
Penelope antwortete nicht gleich, aber nachdem sie noch einige Rosen mehr in den Korb gelegt hatte, erklärte sie zögernd: „Geoffrey ist zurück. Heute früh um vier kam er an.“
Phoebe blickte ihre Schwester ungläubig an. „Bist du sicher? Weiß Mama davon?“
„Ziemlich sicher“, erwiderte Penelope trocken. „Er machte solchen Lärm, als er ins Bett ging, dass ich wach wurde und die Uhr in der Halle schlagen hörte. Er war nicht ganz nüchtern und seine Ausdrucksweise wenig erbaulich. Es überrascht mich, dass du nicht aufgewacht bist. Was Mama betrifft – ich nehme an, Tinson hat sie inzwischen von Geoffreys Ankunft informiert.“
„Oje! Die arme Mama! Was meinst du, ist es sehr abscheulich, dass uns an unserem Halbbruder so wenig liegt?“
„Nein“, versicherte Penelope. „Geoffrey ist ein richtiges Ekel, und wenn man bedenkt, auf welche Weise er unsere Mutter behandelt, dann wäre es ein Wunder, wenn wir ihn mögen würden.“
Phoebe musste dieser Bemerkung zustimmen. Geoffrey war nicht nur entsetzlich grob zu seiner Stiefmutter, er ließ auch keinen Zweifel daran, dass er seine drei Stiefschwestern nicht leiden konnte, allen voran Penelope, die ihm zuweilen in deutlichen Worten sagte, was sie von ihm hielt, ohne auf die zaghaften Proteste ihrer Mutter oder auf Geoffreys Drohungen zu achten. Phoebe warf Penelope einen traurigen Blick zu. Es war kaum zu glauben, dass das Mädchen, das so anmutig neben ihr herging, eine Hand leicht auf das Halsband des Hundes gelegt, nahezu blind war.
Ein schwerer Unfall vor vier Jahren hatte dazu geführt, dass Penelope nur noch hell und dunkel zu unterscheiden vermochte und schemenhafte Bewegungen erkannte. Obwohl sie sich in vertrauter Umgebung sehr sicher bewegte, hatte sie sich rundheraus geweigert, an der letzten Saison teilzunehmen, und erklärt, sie wolle sich lieber alles von Phoebe berichten lassen, anstatt sich mit fremden Menschen und Orten abzumühen. Zwar hatte sie Phoebe und die Eltern nach London begleitet, war aber zumeist im Haus geblieben, sodass nur wenige Leute
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