Geständnis
werden sollte. Sie
sah sich die gesamten vierzehn Minuten an, bevor sie entschied, was
als Nächstes zu tun war. Zwar fand sie Boyette durchaus glaubwürdig
und auch ziemlich gruselig, doch sie war skeptisch wegen seiner
vielen Vorstrafen. Außerdem war es sonderbar, dass er ausgerechnet
jetzt reinen Tisch machen wollte. Sie ging zu Wayne Wallcott, dem
Anwalt und engen Freund des Gouverneurs, und erzählte ihm von dem
Video.
Wallcott hörte aufmerksam zu, dann schloss er die Tür seines
Büros und bat sie, sich zu setzen. „Wer hat das Video bis jetzt
gesehen?“, fragte er.
„ Nur ich“, antwortete die Assistentin. „Es ist per E-Mail aus
Mr. Flaks Ranzlei eingegangen, zusammen mit einem Passcode. Ich
habe es mir sofort angesehen und bin dann gleich
hergekommen.“
„ Es ist tatsächlich ein vollständiges Geständnis?“
„ Oh, ja, mit einer Menge Details.“
„ Und Sie glauben dem Kerl?“
„ Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, er scheint zu
wissen, wovon er redet. Er ist ein Serienvergewaltiger und hat in
Slone gewohnt, als das Mädchen verschwand. Er gesteht
alles.“
„ Erwähnt er Drumm?“
„ Warum sehen Sie sich nicht einfach das Video an?“
„ Ich habe Sie nicht gebeten, mir Ratschläge zu erteilen“, fuhr
Wallcott sie an. „Beantworten Sie einfach meine Fragen.“
„ Entschuldigung.“ Die Assistentin holte tief Luft. Sie war
plötzlich nervös und fühlte sich unbehaglich. Wallcott hörte ihr
zu, doch ihm war anzumerken, dass er gleichzeitig fieberhaft
überlegte. „Er hat nur gesagt, dass er Drumm nicht kennt und dass
der Junge nichts mit der Tat zu tun hat.“
„ Er lügt. Ganz klar. Ich werde den Gouverneur nicht damit
belästigen, und ich möchte, dass das Video bei Ihnen bleibt. Ich
habe keine Zeit, um es mir anzusehen. Und der Gouverneur auch
nicht. Sie verstehen?“
Sie verstand nicht, nickte aber.
Wallcott kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. „Sie
verstehen doch, oder?“, wiederholte er „Das Video bleibt auf Ihrem
Computer.“
„ Ja, Sir.“
Sobald sie gegangen war, eilte Wallcott zum Büro von Barry
Ringfield, dem Sprecher und Vertrauten des Gouverneurs. Auf der
Etage wimmelte es nur so von Mitarbeitern und Praktikanten, daher
gingen sie zusammen ein Stück den Korridor hinunter und suchten
sich eine ruhige Ecke.
Nachdem sie eine Weile über die verschiedenen Möglichkeiten
gesprochen hatten, waren beide der Meinung, dass der Gouverneur das
Video nicht zu sehen bekommen würde. Falls Boyette log, war das
Video bedeutungslos, und dann starb der Richtige. Doch falls
Boyette die Wahrheit sagte - was sie allerdings stark bezweifelten
- und der Falsche hingerichtet wurde, hatte das unter Umständen
unangenehme Folgen. In diesem Fall konnten sie den Gouverneur nur
in Schutz nehmen, wenn einer von ihnen - vielleicht auch die
Assistentin - den Sündenbock spielte und zugab, dass er - oder sie
- das Video nicht weitergegeben oder eventuell sogar verlegt habe.
Gill Newton hatte noch nie eine Hinrichtung aufgeschoben, und
angesichts des großen Medieninteresses am Fall Drumm würde er jetzt
sowieso keinen Rückzieher mehr machen. Selbst wenn er sich das
Video ansah und Boyette glaubte, würde er keinen Aufschub
gewähren.
Wayne und Barry gingen zum Büro des Gouverneurs. Sie wurden
dort um Punkt sechzehn Uhr erwartet, zwei Stunden vor der
Hinrichtung. Sie hatten nicht vor, dem Gouverneur etwas von der
Aufnahme zu erzählen.
Um 15.30 Uhr versammelten sich sämtliche Mitarbeiter der
Ranzlei Flak im Besprechungsraum. Alle waren da, ohne Ausnahme,
selbst Reith, der vor Müdigkeit fast vom Stuhl kippte und kaum
glauben konnte, dass er Teil dieses Zirkusses geworden war. Er und
Richter Henry saßen etwas abseits an einer Wand. Aaron Rey und Fred
Pryor lasen auf der anderen Seite des Raumes Zeitung. Travis
Boyette war am Leben und lag noch auf dem Sofa in Robbies
abgedunkeltem Büro.
Robbie hätte schon längst nach Huntsville aufbrechen müssen,
und die Anspannung war ihm inzwischen anzusehen. Doch er konnte
noch nicht gehen. Der Boyette-Antrag hatte das gesamte Team in
helle Aufregung versetzt und allen neue Hoffnung
gegeben.
Robbie ging seine Checkliste durch, die er wie immer auf einen
gelben Notizblock geschrieben hatte. Sammie Thomas und Bonnie
sollten die Bearbeitung des Boyette-Antrags am TCCA verfolgen und
mit dem Büro des Gouverneurs in Rontakt bleiben. Gill Newton musste
noch über einen Aufschub der Hinrichtung entscheiden und
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