Geständnis
mehr, an das man sich wenden konnte.
Der Antrag auf cert ging elektronisch bei dem für Todesurteile
zuständigen Mitarbeiter am Supreme Court ein, der ihn sofort an die
Büros der neun Richter weiterschickte.
Über den Boyette-Antrag, der am Texas Court of Criminal
Appeals anhängig war, gab es noch nichts Neues.
Als die King Air in Huntsville landete, rief Robbie in der
Kanzlei an und erfuhr von der für sie nachteiligen Entscheidung des
Gerichts in New Orleans. Joey Gamble war noch nicht in der Kanzlei
von Agnes Tanner in Houston aufgetaucht. Der Gouverneur hatte einen
Aufschub der Hinrichtung abgelehnt, und das auch noch äußerst
medienwirksam. Zurzeit gab es keine neuen Brände in Slone, doch die
Nationalgarde war auf dem Weg in die Stadt. Das Gespräch war
deprimierend, aber Robbie hatte nichts anderes erwartet.
Er, Aaron, Martha und Keith stiegen in einen Minivan, der von
einem Privatdetektiv gefahren wurde, mit dem Robbie schon einmal
gearbeitet hatte. Der Van raste los. Bis zum Gefängnis waren es
fünfzehn Minuten Fahrt. Keith rief Dana an und wollte ihr sagen,
was gerade geschah, doch seine Erklärungsversuche wurden immer
komplizierter, und zudem war er nicht allein. Sie war mehr als
verwirrt und felsenfest davon überzeugt, dass er gerade eine
Dummheit beging. Er versprach, gleich zurückzurufen. Aaron rief in
der Kanzlei an und sprach mit Fred Pryor. Boyette war aufgestanden
und lief im Büro herum, aber sehr langsam. Er beschwerte sich, weil
er nicht mit den Reportern reden konnte. Offenbar wollte er allen
seine Geschichte erzählen, und für ihn sah es jetzt so aus, als
interessierte sich niemand dafür. Robbie versuchte fieberhaft, Joey
Gamble zu erreichen, hatte aber kein Glück. Martha Handler machte
sich wie üblich seitenweise Notizen.
Um 16.30 rief der Vorsitzende Richter Milton Prudlowe per
Telefonkonferenz seine Kollegen am Texas Court of Criminal Appeals
zusammen, um über den Boyette-Antrag im Fall Donte Drumm zu
entscheiden. Von Boyettes Geständnis war das Gericht nicht
sonderlich beeindruckt gewesen. Der allgemeine Eindruck war, dass
der Mann die Aufmerksamkeit der Medien suchte und zudem alles
andere als glaubwürdig war. Nach einer kurzen Diskussion rief
Prudlowe zur Abstimmung auf. Das Votum fiel einstimmig aus; keiner
der Richter sprach sich dafür aus, die Hinrichtung Donte Drumms
aufzuschieben. Der Leiter der Geschäftsstelle informierte das Büro
des Generalstaatsanwalts, die Anwälte, die im Namen Dontes
Rechtsmittel eingelegt hatten, Wayne Wallcott, den Anwalt des
Gouverneurs, und die Kanzlei von Robbie Flak per E-Mail über die
Entscheidung.
Der Van hatte das Gefängnis fast erreicht, als Robbie den
Anruf von Carlos bekam. Obwohl er sich den ganzen Nachmittag immer
wieder gesagt hatte, dass ein Aufschub der Hinrichtung
unwahrscheinlich sei, war es ein schwerer Schlag für ihn. „Diese
Scheißkerle!“, brüllte er. „Sie haben Boyette nicht geglaubt.
Abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt, alle neun.
Scheißkerle!“
„ Was passiert jetzt?“, fragte Keith.
„ Wir gehen an den U.S. Supreme Court. Legen Boyettes Geständnis
vor. Beten um ein Wunder. Wir haben nicht mehr viele
Möglichkeiten.“
„ Haben die Richter eine Begründung gegeben?“
„ Nein, und das müssen sie auch nicht. Das Problem besteht
darin, dass wir Boyette unbedingt glauben wollen, und sie, die
auserwählten neun, kein Interesse daran haben, ihm zu glauben. Es
würde das ganze System durcheinanderbringen. Aber jetzt muss ich
Agnes Tanner anrufen. Gamble sitzt vermutlich in einem Striplokal
und besäuft sich, während er einer Tänzerin Trinkgeld ins Höschen
schiebt.“
Schuld an der Verspätung waren weder Stripteasetänzerinnen
noch Straßensperrungen oder Umleitungen. Joeys Taxi war lediglich
zweimal falsch abgebogen. Um 16.40 Uhr betrat er die Kanzlei von
Agnes Tanner. Ms. Tanner wartete bereits an der Tür auf ihn. Sie
war eine abgebrühte Scheidungsanwältin, die gelegentlich pro bono
einen Mordfall als Verteidigerin übernahm, wenn ihr langweilig
wurde. Sie und Robbie kannten sich gut, obwohl sie sich seit über
einem Jahr nicht gesehen hatten.
Ms. Tanner hielt die eidesstattliche Erklärung in der Hand und
führte Joey nach einem knappen „Hallo“ in einen kleinen
Besprechungsraum. Sie wollte ihn fragen, wo er gewesen war, warum
es so lange gedauert hatte, ob er betrunken war, ob ihm bewusst
war, dass ihnen die Zeit davonlief, warum er vor neun Jahren
gelogen und seitdem nur auf
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