Geständnis
Kriminalbeamter oder ein Staatsanwalt wegen
eines Fehlurteils vor Gericht gestanden hätte. Wir sind das System,
Kerber. Wir könnten vor einem Zivilgericht verklagt werden, aber
selbst das ist eher unwahrscheinlich. Außerdem sind wir über die
Stadt versichert. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.
Wir sind wie Teflon.“
„ Würde ich meinen Job verlieren?“
„ Nein, weil das für Sie und die Stadt bei einem Zivilprozess
ungünstig wäre. Aber wahrscheinlich würde man Ihnen anbieten,
vorzeitig in Rente zu gehen. Die Stadt würde sich um Sie
kümmern.“
„ Uns kann also keiner was?“
„ Nein, und jetzt hören Sie bitte damit auf.“
Kerber lächelte, holte tief Luft und gönnte sich noch einen
kräftigen Schluck. „Ich bin nur neugierig“, sagte er, „das ist
alles. Wirkliche Sorgen mache ich mir nicht.“
„ Das klang aber gerade ganz anders.“
Eine Weile starrten beide auf das Wasser und hingen ihren
Gedanken nach, die um dieselbe Frage kreisten.
„ Boyette war hier im Gefängnis und hatte in einem anderen
Bundesstaat noch Bewährung, stimmt's?“, fragte Koffee
schließlich.
„ Stimmt. Ich glaube in Oklahoma, vielleicht auch
Arkansas.“
„ Wie konnte er dann freikommen?“
„ Ich erinnere mich nicht mehr an jede Einzelheit, aber ich sehe
mir morgen früh die Akte an. Wenn ich mich nicht irre, hat er
Kaution hinterlegt und sich dann abgesetzt. Ich hatte mit dem Fall
nichts zu tun, und sobald mir klar war, dass es nicht >mein<
Boyette war, war die Sache vergessen. Bis heute.“
„ Nur keine Aufregung, Kerber“, sagte Koffee nach einer weiteren
Gesprächspause. „Sie haben ordentlich ermittelt, er hatte einen
fairen Prozess, und sämtliche Gerichte haben seine Schuld
bestätigt. Was will man mehr? Das System hat funktioniert. Mein
Gott, Kerber, der Junge hat gestanden.“
„ Natürlich hat er das. Allerdings habe ich mich oft gefragt,
was ohne dieses Geständnis passiert wäre.“
„ Sie zweifeln doch nicht etwa das Geständnis an?“
„ Nein, natürlich nicht. Alles lief nach Vorschrift.“
„ Vergessen Sie die Sache, Kerber. Es ist vorbei, endgültig
vorbei. Es ist zu spät, um irgendwas zu hinterfragen, was wir getan
haben. Der Junge ist in einer Kiste unterwegs nach
Hause.“
Der Flughafen von Slone war geschlossen. Der Pilot schaltete
die Landebeleuchtung per Funksignal vom Cockpit aus ein, Anflug und
Landung verliefen reibungslos. Sie rollten zu dem kleinen Terminal,
und sobald die Propeller standen, sprangen sie aus der Maschine.
Robbie bedankte sich bei dem Piloten und versprach ihm, sich später
zu melden. Der bekundete sein Beileid.
Bis sie im Wagen saßen, hatte Aaron bereits mit Carlos
gesprochen und war auf dem Laufenden. „Überall in der Stadt brennt
es. Sie fackeln Autos ab. Carlos sagt, auf dem Parkplatz an der
Ranzlei stehen drei Fernsehcrews. Sie wollen mit Ihnen reden,
Robbie, und Boyette nochmal zu Gesicht bekommen.“
„ Wieso zündet keiner die Übertragungswagen an?“, fragte
Robbie.
„ Werden Sie mit denen reden?“
„ Keine Ahnung. Die sollen warten. Was macht
Boyette?“
„ Sieht fern. Carlos sagt, er ist sauer, weil ihm keiner
geglaubt hat, und weigert sich, nochmal mit den Reportern zu
reden.“
„ Können Sie mich bitte daran hindern, ihn umzubringen, falls
ich mit einem Baseballschläger auf ihn losgehe?“
„ Nein“, sagte Aaron.
Als sie die Stadtgrenze passierten, hielten alle vier nach
Anzeichen für die Unruhen Ausschau. Aaron blieb in den
Seitenstraßen, mied das Stadtzentrum, und wenige Minuten später
hatten sie den Bahnhof erreicht. Alle Lichter brannten. Der
Parkplatz war voll, und tatsächlich warteten drei
Übertragungswagen. Als Robbie ausstieg, lauerten die Reporter
bereits auf ihn. Er erkundigte sich höflich, woher sie kämen und
was sie wollten. Eine Crew stammte aus Slone, eine andere kam von
einem Sender in Dallas und eine aus Tyler. Es waren mehrere
Zeitungsreporter vor Ort, einer sogar aus Houston. Robbie bot ihnen
einen Deal an: Wenn er draußen auf dem Bahnsteig eine kleine
Pressekonferenz abhielt und ihre Fragen beantwortete, würden sie
sich dann ein für alle Mal verziehen? Er erinnerte sie daran, dass
sie sich auf seinem Grund und Boden aufhielten und dass er sie
jederzeit wegschicken konnte. Sie gingen auf sein Angebot ein,
alles lief sehr zivilisiert ab.
„ Was ist mit Travis Boyette?“, fragte ein Reporter.
„ Ich bin nicht für Mr. Boyette verantwortlich“, erwiderte
Robbie.
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