Geständnis
gehört?“
Ihr Gesicht zeigte Ratlosigkeit. „Von wem?“
„ Travis Boyette. Heute um 17.30 Uhr hat er in Slone im
Fernsehen behauptet, er wäre der Mörder.“
„ Blödsinn!“
„ Hier ist die Aufzeichnung.“ Fordyce deutete auf einen
20-Zoll-Bildschirm zu seiner Rechten. Auf dieses Stichwort hin
startete das Video von Travis Boyette. Der Ton war laut gestellt,
ansonsten herrschte am Set Stille. Während Boyette sprach,
beobachtete Reeva ihn angespannt, runzelte die Stirn, verzog
geradezu höhnisch das Gesicht und schüttelte dann abwehrend den
Kopf. Ein Irrer, ein Betrüger. Sie kannte den wahren Mörder. Doch
als Boyette den Klassenring zückte, in die Kameras hielt und
erklärte, er habe ihn neun Jahre lang aufbewahrt, wurde Reeva blass
im Gesicht, ihre Kiefer erschlafften, und sie ließ die Schultern
hängen.
Sean Fordyce hatte sich stets lautstark für die Todesstrafe
eingesetzt, doch wie die meisten Sensationsjournalisten des
Kabelfernsehens ließ er sich von ideologischen Grundsätzen niemals
eine gute Story verderben. Die Möglichkeit, dass der Falsche
hingerichtet worden war, mochte ein Schlag gegen die Todesstrafe
sein, aber das war Fordyce völlig egal. Er steckte mitten in der
heißesten Geschichte des Augenblicks - Nummer zwei auf der
CNN-Homepage - und hatte vor, das gründlich auszunutzen.
Er hatte keinerlei Skrupel, aus dem Hinterhalt über seinen
eigenen Gast herzufallen. Das hatte er schon früher getan und würde
es wieder tun, wenn er damit die richtige dramatische Wirkung
erzielte.
Boyette verschwand vom Bildschirm.
„ Haben Sie den Ring gesehen, Mrs. Pike?“, dröhnte
Fordyce.
Reeva sah aus, als wäre ihr ein Geist erschienen. Dann fasste
sie sich wieder und erinnerte sich daran, dass alles gefilmt wurde.
„Ja“, brachte sie mühsam heraus.
„ Gehörte er Nicole?“
„ Oh, das lässt sich so nicht sagen. Wer ist dieser Mensch, und
wo kommt er her?“
„ Das ist ein Serientäter, der jede Menge Vergewaltigungen auf
dem Kerbholz hat.“
„ Da sehen Sie's. Wie soll man so einem glauben?“
„ Sie glauben ihm also nicht, Mrs. Pike?“
„ Natürlich nicht.“ Aber die Tränen waren versiegt, ihr
Kampfgeist schien erloschen. Reeva wirkte verwirrt, desorientiert
und sehr müde. „Es war ein langer Tag, Mr. Fordyce“, sagte sie, als
er zu einer weiteren Frage ansetzte. „Wir wollen nach
Hause.“
„ Ja, natürlich. Nur noch eine Frage. Finden Sie, dass
Hinrichtungen im Fernsehen übertragen werden sollten, nachdem Sie
jetzt selbst dabei waren?“
Reeva riss sich das Mikro von der Jacke und sprang auf. „Komm,
Wallis. Ich bin müde.“
Das Interview war beendet. Reeva, Wallis und die beiden Kinder
verließen mit Bruder Ronnie im Schlepptau das Motel. Sie bestiegen
den Gemeindebus und fuhren nach Slone.
Vom Flughafen aus rief Keith Dana an, um ihr den letzten Stand
seines kleinen Ausflugs zu melden. Mittlerweile befand er sich im
freien Fall, hatte keine Ahnung, wo er hinwollte, und wusste nicht
so recht, wo er herkam. Als er ihr vorsichtig beibrachte, dass er
soeben der Hinrichtung beigewohnt hatte, war sie sprachlos. Genau
wie er. Das Gespräch blieb kurz. Sie fragte ihn, ob es ihm gutgehe,
und er erwiderte, das sei definitiv nicht der Fall.
Die King Air hob um 19.05 Uhr ab und geriet schnell in dichte
Wolken. Die Maschine schaukelte und bockte wie ein alter Lkw auf
schlechter Straße. „Mäßige Turbulenzen“, hatte der Pilot beim
Einstieg gesagt. Das Dröhnen der Motoren, das Gefühl, hin und her
geworfen zu werden, und der verschwommene, irrsinnige Bilderreigen
der letzten beiden Stunden - da schien es Keith am einfachsten, die
Augen zu schließen und sich in seinen eigenen kleinen Kokon
zurückzuziehen.
Robbie war ebenfalls in sich gekehrt. Er saß vorgebeugt, die
Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in den Händen, hielt die
Augen geschlossen und war tief in seine Gedanken und schmerzlichen
Erinnerungen versunken. Martha Handler wollte reden, sich Notizen
machen, den Augenblick voll erfassen, aber es gab niemanden, den
sie hätte interviewen können. Aaron Rey starrte nervös aus dem
Fenster, als könnte jeden Augenblick eine Tragfläche
abbrechen.
Bei fünfzehnhundert Metern wurde der Flug etwas ruhiger, und
der Lärm in der Kabine ließ nach. Robbie lehnte sich zurück und
lächelte Martha an.
„ Was waren seine letzten Worte?“, fragte sie.
„ Er liebt seine Mutter, und er ist unschuldig.“
„ Ist das alles?“
„ Das reicht. Es
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