Geständnis
Meinung nicht
ändern, zumindest nicht über Nacht, aber es herrschte allgemein das
Gefühl, dass man sich im Augenblick mit Äußerungen besser
zurückhielt. Die ultrarechten Programme im Kabelfernsehen und die
Moderatoren der konservativen Mittelwellen-Radiosendungen
ignorierten die Story einfach.
In Slone war der Sonntag der Tag des Gottesdienstes. In der
Bethel-African-Methodist-Kirche versammelten sich deutlich mehr
Gläubige als sonst um acht Uhr zur Andacht. Die Sonntagsschule, ein
Gebetsfrühstück für Männer, die Übungsstunde des Chors,
Bibelkreise, Kaffee und Donuts und schließlich der weit über eine
Stunde dauernde Gottesdienst sollten folgen. Manche hofften, die
Drumms, vor allem Roberta, zu Gesicht zu bekommen und in aller
Stille ihr Beileid ausdrücken zu können, aber die Drumms brauchten
Ruhe und blieben zu Hause. Manche waren da, weil sie reden mussten,
den Tratsch hören wollten, Unterstützung geben oder bekommen
wollten.
Was auch immer die Gründe sein mochten, das Gotteshaus war
überfüllt, als Reverend Johnny Canty auf die Kanzel trat und die
Menge herzlich willkommen hieß. Es wäre ein Leichtes gewesen, die
Gemeinde aufzustacheln, Öl in die Flammen zu gießen, die
Angeschlagenen vollends niederzumachen, aber das hatte Reverend
Canty nicht vor. Er sprach über Roberta und die Courage, die sie
unter der Belastung gezeigt habe, ihren Schmerz, als sie ihren Sohn
habe sterben sehen, und über Jesus, der die andere Wange
hingehalten habe. Er betete um Geduld, Toleranz und um Weisheit
beim Umgang mit dem, was geschehen war. Er sprach von Martin Luther
King und dessen Mut, mit dem er gewaltlos Veränderungen bewirkte.
Es liege in der Natur des Menschen, zurückzuschlagen, aber der
zweite Schlag führe zum dritten und vierten. Er dankte seiner Herde
dafür, dass sie die Waffen niedergelegt und sich aus den Straßen
zurückgezogen hatte.
Bemerkenswerterweise war es für Slone eine ruhige Nacht
gewesen. Canty erinnerte seine Leute darin, dass Donte Drumms Name
nun berühmt war, ein Symbol, das den Wandel einläuten werde. „Lasst
ihn uns nicht mit noch mehr Blut, noch mehr Gewalt
besudeln.“
Nach der dreißigminütigen Einleitung schwärmten die
Gottesdienstbesucher in der Kirche aus, um an ihren üblichen
Sonntagmorgenveranstaltungen teilzunehmen.
Eineinhalb Kilometer entfernt trafen die Mitglieder der
First-Baptist-Kirche nach und nach zu einem einzigartigen
Gottesdiensterlebnis ein. Die Ruine ihrer Kirche war nach wie vor
mit gelbem Polizeiband abgesperrt, ein Tatort, an dem noch
ermittelt wurde. Auf einem Parkplatz war ein großes weißes Zelt
errichtet worden. Darunter standen Reihen von Klappstühlen und
Tische mit Speisen. Die Kleidung war lässig, die Stimmung im Großen
und Ganzen optimistisch. Nach einem kurzen Frühstück wurden
Kirchenlieder angestimmt, alte mitreißende Gospelsongs, deren Texte
alle auswendig kannten. Der leitende Diakon sprach über den Brand
und vor allem über die neue Kirche, die sie errichten würden. Sie
waren versichert, sie waren gläubig, sie würden, falls nötig, ein
Darlehen aufnehmen - auf jeden Fall würde aus der Asche eine schöne
neue Kirche zur Ehre des Herrn erstehen.
Reeva war nicht da. Sie hatte das Haus nicht verlassen.
Ehrlich gesagt, vermisste sie kaum jemand. Ihre Freunde hatten
Verständnis für ihren Schmerz, jetzt, wo ihre Tochter gefunden
worden war, aber Reeva erging sich seit neun Jahren unablässig in
ihrem Schmerz. Unwillkürlich mussten ihre Freunde an die Wachen am
Red River denken, an die Marathon-Gebetssitzungen, die endlosen
Tiraden in der Presse, die Begeisterung, mit der sich Reeva in die
Opferrolle gefügt hatte - und alles nur, um sich an dem „Ungeheuer“
Donte Drumm zu rächen. Jetzt war das falsche Ungeheuer hingerichtet
worden, und nachdem Reeva es geradezu genossen hatte, diesen Mann
sterben zu sehen, hatten nur wenige Kirchenmitglieder Lust, ihr
gegenüberzutreten. Zum Glück beruhte das auf
Gegenseitigkeit.
Bruder Ronnie wurde von Gewissensbissen geplagt. Er hatte
zugesehen, wie seine Kirche in Flammen aufging, wofür er nichts
konnte, aber er hatte auch Donte sterben sehen, und zwar mit großer
Befriedigung. Bestimmt war das eine Sünde. Als Baptist war er gut
darin, immer neue Sünden zu erfinden, und er brauchte Vergebung.
Das ließ er seine Gemeinde wissen. Er offenbarte sich ihr, gab zu,
im Unrecht gewesen zu sein und bat sie, für ihn zu beten. Seine
Demut und Verzweiflung wirkten
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