Geständnis
Ablenkungen
waren immer durch den Gedanken verdorben worden, dass Travis
Boyette auf freiem Fuß war. Unzählige Male hatte Keith sich ins
Gedächtnis gerufen, dass er Boyette nicht bei der Flucht geholfen
hatte - der Mann trieb sich bereits in Topeka herum, ein
Strafgefangener, der seine Zeit abgesessen hatte und auf dem Weg
zum rechtmäßigen Wiedereintritt in die Gesellschaft war. Die
Entscheidung, Anchor House zu verlassen und gegen seine
Bewährungsauflagen zu verstoßen, hatte Boyette bereits getroffen,
bevor er Keith überredete, ihn zu fahren. Trotzdem beschlich Keith
ein unbehagliches Gefühl in der Magengrube, ein nagender Zweifel,
der ihm einreden wollte, er habe etwas Falsches getan.
Um Boyette einen Augenblick zu vergessen, nahm er die Füße vom
Schreibtisch und wandte sich seinem Computer zu. Der Monitor zeigte
die Website des für Kansas zuständigen Zweigs von AADP - Americans
Against the Death Penalty -, und Keith beschloss, Mitglied zu
werden. Per Kreditkarte zahlte er den Jahresbeitrag von
fünfundzwanzig Dollar und war nun eines von dreitausend
Mitgliedern, was bedeutete, dass er Anspruch auf den
Online-Newsletter, ein monatlich erscheinendes Magazin mit den
letzten Neuigkeiten und andere regelmäßige Informationen durch die
Organisation hatte. Die Gruppe kam einmal im Jahr in Wichita
zusammen, Einzelheiten dazu sollten folgen. Abgesehen von der
Kirche war es die erste Organisation, der er sich je angeschlossen
hatte.
Aus reiner Neugier suchte er nach Websites von Gruppen, die in
Texas gegen die Todesstrafe kämpften, und fand jede Menge. Er
erkannte die Namen mehrerer Organisationen wieder, die in den
vergangenen zwei Tagen in den Nachrichten erwähnt worden waren: Die
dortigen Gegner der Todesstrafe nutzten Drumms Hinrichtung, um sich
zu profilieren, und waren überall aktiv. Execution Watch, Students Against the
Death Penalty, Texas Moratorium Network, TALK (Texas Against
Legalized Killing), Texans for Alternatives to the Death
Penalty. Vertraut war ihm der Name Death
Penalty Focus. Keith ging auf die Website und war beeindruckt. Die
Mitgliedschaft kostete nur zehn Dollar. Er zückte seine Kreditkarte
und trat bei. Das gab ihm ein gutes Gefühl und ließ ihn Boyette
vergessen.
Die größte und älteste Gruppe in Texas war ATeXX, ein Akronym
für Abolish Texas Executions. Die Organisation veröffentlichte
ausführliche Artikel zum Thema Todesstrafe, setzte sich außerdem
bei den Angehörigen der Legislative für eine andere Politik ein,
gründete Unterstützergruppen für Männer und Frauen, die auf ihre
Hinrichtung warteten, sammelte Spenden für die Verteidigung von
Menschen, die eines mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens
beschuldigt wurden, arbeitete mit Dutzenden anderer Gruppen im
ganzen Land zusammen und - das fand Keith besonders beeindruckend -
kümmerte sich um die Familie der Opfer ebenso wie um die der Täter.
ATeXX hatte fünfzehntausend Mitglieder, ein Jahresbudget von zwei
Millionen und nahm jeden auf, der bereit war, fünfundzwanzig Dollar
zu zahlen. Keith war in der richtigen Stimmung dafür, und kurz
darauf war er der dritten Organisation beigetreten.
Sechzig Dollar später fühlte er sich wie ein professioneller
Aktivist gegen die Todesstrafe.
Das Piepsen seiner Gegensprechanlage zerriss die Stille. Es
war Charlotte Junger. „Ich habe eine Journalistin am Telefon, mit
der Sie wohl besser reden.“
„ Woher ist sie?“
„ Aus Houston, und sie lässt sich nicht abwimmeln.“
„ Danke.“ Er nahm den Anruf an. „Hier ist Reverend Keith
Schroeder.“
„ Reverend Schroeder, mein Name ist Eliza Keene. Ich bin vom
Houston Chronick.“ Ihre Stimme war weich, sie sprach bedächtig, und
ihr Akzent erinnerte Keith an das Näseln, das er in Slone gehört
hatte. „Ich habe ein paar Fragen zu Travis Boyette.“
Sein Leben lief wie ein Film vor seinen Augen ab.
Schlagzeilen, Kontroverse, Handschellen, Gefängnis.
Keith zögerte lange genug, um Eliza Keene davon zu überzeugen,
dass sie auf der richtigen Spur war.
„ Verstehe“, sagte er. Was sollte er auch sagen? Zu behaupten,
er kenne Boyette nicht, wäre eine Lüge gewesen. Für den Bruchteil
einer Sekunde überlegte er, ob er sich weigern sollte, mit ihr zu
reden, aber das schien ihm erst recht verdächtig.
„ Haben Sie etwas dagegen, wenn ich unser Gespräch aufzeichne?“,
fragte sie freundlich.
Ja. Nein. Er hatte keine Ahnung. „Ah, nein“, erwiderte
er.
„ Gut. Das trägt dazu bei, Unklarheiten zu
Weitere Kostenlose Bücher