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Geständnis

Titel: Geständnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bernd
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für nötig befunden, Architekten hinzuzuziehen.
Am Montagabend um neunzehn Uhr trat Keith von der Seventeenth
Street aus ein und blieb an einer provisorischen Anmeldungstheke
stehen. Dahinter saß ein Exsträfling, der ihm übellaunig
entgegensah. „Ja, bitte?“
    „ Ich muss Travis Boyette sprechen“, sagte Keith.
    Der Mann blickte nach links, in Richtung eines großen offenen
Raumes, wo rund ein Dutzend Männer in unterschiedlichen Stadien der
Entspannung saßen und gebannt auf einen großen, lauten Fernseher
schauten, in dem eine Folge von Wheel of Fortune lief. Dann blickte
er nach rechts, in einen anderen großen offenen Raum, in dem
ebenfalls rund ein Dutzend Männer saßen und entweder in
zerfledderten Taschenbüchern lasen oder Dame oder Schach spielten.
Keith erkannte Boyette in einem Korbschaukelstuhl in einer Ecke,
teilweise verdeckt von einer Zeitung. „Da drüben“, sagte der Mann
mit einem Nicken. „Unterschreiben Sie hier.“
    Keith unterschrieb und ging dann auf die Ecke zu. Als Boyette
ihn sah, packte er seinen Stock und beeilte sich, auf die Beine zu
kommen. „Mit Ihnen habe ich nicht gerechnet“, sagte er, ganz
offensichtlich überrascht.
    „ Ich war gerade in der Gegend. Hätten Sie ein paar Minuten
Zeit?“
    Die anderen Männer nahmen beiläufig Notiz von Keith. An den
Dame- und Schachtischen wurde ohne Unterbrechung
weitergespielt.
    „ Klar“, sagte Boyette und sah sich um. „Gehen wir in den
Speisesaal.“ Keith folgte ihm und beobachtete Boyettes linkes Bein,
das bei jedem Schritt leicht zögerte und so das Hinken hervorrief.
Der Stock stach rhythmisch auf den Boden. Wie schrecklich musste es
sein, fragte sich Keith, mit einem Tumor zwischen den Ohren zu
leben, der immer weiter wuchs, bis der Schädel zu platzen drohte?
So erbärmlich dieser Mann als Mensch war, Keith empfand dennoch
unwillkürlich Mitleid mit ihm. Er war dem Tod geweiht.
    Der Speisesaal war ein kleiner Raum mit vier langen
Klapptischen und einem breiten Durchgang am gegenüberliegenden
Ende, der in die Küche führte. Das Abwaschteam machte einen
Höllenlärm mit Töpfen, Pfannen und donnerndem Gelächter. Rapmusik
dröhnte aus einem Radio. Die ideale Umgebung für ein Gespräch unter
vier Augen.
    „ Hier können wir reden.“ Boyette nickte zu einem Tisch hinüber.
Der Boden war mit Krümeln übersät, und in der Luft hing der Geruch
von Bratfett. Sie setzten sich einander gegenüber. Da sie - außer
dem Wetter vielleicht - kein gemeinsames Thema hatten, beschloss
Keith, keine Zeit zu verlieren.
    „ Möchten Sie Kaffee?“, fragte Boyette höflich.
    „ Nein, danke.“
    „ Kluge Wahl. Hier gibt es den schlimmsten Kaffee in ganz
Kansas. Schlimmer als im Knast.“
    „ Travis, nachdem Sie heute Morgen weg waren, bin ich ins
Internet gegangen, habe Donte Drumms Website gefunden und mich den
Rest des Tages mit seiner Geschichte beschäftigt. Sie ist
faszinierend und erschütternd zugleich. Es gibt ernsthafte Zweifel
an seiner Schuld.“
    „ Ernsthafte Zweifel?“ Boyette lachte kurz auf. „Na, da bin ich
ja beruhigt. Der Junge hatte nichts mit dem zu tun, was mit Nikki
geschehen ist.“
    „ Was ist denn mit Nikki geschehen?“
    Ein erschrockener Blick, wie ein Reh im Licht von
Autoscheinwerfern. Schweigen. Boyette legte sich die Hände an den
Kopf und begann, ihn zu massieren. Seine Schultern bebten. Das
Zucken kam mehrere Male. Keith beobachtete ihn und konnte seine
Qualen förmlich spüren. In der Küche hämmerten immer noch
erbarmungslos die Rapbeats.
    Langsam griff Keith in die Manteltasche und förderte ein
gefaltetes Stück Papier zutage. Er faltete es auseinander und schob
es über den Tisch. „Erkennen Sie dieses Mädchen?“, fragte er. Das
Bild war ein Schwarz-Weiß-Foto, das er aus dem Internet
heruntergeladen hatte, ein Foto von Nicole Yarber im
Cheerleader-Kostüm, mit Pompon und dem unschuldigen Lächeln einer
süßen Siebzehnjährigen.
    Zuerst reagierte Boyette nicht. Er betrachtete das Mädchen,
als hätte er es noch nie gesehen. Doch dann, ohne die Augen von ihr
zu nehmen, begann er plötzlich zu weinen. Kein Keuchen, kein
Schluchzen, kein „Es tut mir so leid“, nur ein Rinnsal, das ihm
über die Wangen lief und vom Kinn triefte. Er machte keine
Anstalten, sich das Gesicht abzuwischen.
    Er hob den Blick zu Keith, und die beiden Männer sahen sich
an, während die Tränen liefen. Das Foto wurde nass. Boyette
räusperte sich und sagte: „Ich möchte sterben.“
     
    Keith kam mit zwei

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