Geständnis
bleiben. Dies war Reevas Show. Sie war
nervös und überreizt und fing nach wenigen Worten an zu weinen.
Allerdings weinte sie schon so lange öffentlich, dass sie dabei
ungehindert weiterreden konnte. Die Tränen störten sie nicht,
während sie in Erinnerungen an ihre Tochter schwelgte.
„ Vermissen Sie sie sehr?“, fragte Fordyce. Es war eine seiner
typischen hohlen Phrasen, die ausschließlich dazu dienten, die
Emotionen zu schüren.
Und Reeva lieferte genau, was er wollte. Er reichte ihr ein
weißes Taschentuch aus seiner Jackentasche. Ein echtes Stofftuch.
Der Mann triefte förmlich von Mitgefühl.
Irgendwann kam er auf die Hinrichtung, das Herzstück der
Sendung. „Haben Sie immer noch vor hinzufahren?“, fragte er, der
Antwort gewiss.
„ O ja“, antwortete sie, und Wallis brachte ein Nicken
zustande.
„ Warum? Wie viel bedeutet Ihnen das?“
„ Es bedeutet mir sehr viel“, sagte sie. Der Gedanke an
Vergeltung ließ ihre Tränen versiegen. „Die Bestie hat meiner
Tochter das Leben geraubt. Er verdient es zu sterben, und ich will
dabei sein und ihm in die Augen sehen, wenn er seinen letzten
Atemzug macht.“
„ Meinen Sie, er wird Sie ansehen?“
„ Das bezweifle ich. Er ist ein Feigling. Nach dem, was er
meinem kleinen Schatz angetan hat, ist er nicht Manns genug, mir in
die Augen zu sehen.“
„ Was ist mit seinen letzten Worten? Erwarten Sie eine
Entschuldigung?“
„ Ja. Aber ich rechne nicht damit. Er hat nie die Verantwortung
für seine Tat übernommen.“
„ Er hat gestanden.“
„ Schon, aber dann hat er es sich anders überlegt. Seither
leugnet er. Ich rechne damit, dass er immer noch leugnet, wenn sie
ihn festschnallen und er sich verabschiedet.“
„ Denken Sie sich einmal in die Situation hinein, Reeva: Wie,
glauben Sie, werden Sie sich fühlen, wenn er für tot erklärt
wird?“
Allein der Gedanke daran ließ sie lächeln, aber sie riss sich
zusammen. „Erleichterung, Trauer, ich weiß es nicht. Ein weiteres
Kapitel in einer langen, traurigen Geschichte wird zu Ende gehen.
Aber es wird nicht das Ende sein.“
Wallis runzelte leicht die Stirn, als er das hörte.
„ Wie wird das letzte Kapitel aussehen, Reeva?“
„ Wenn man ein Kind verliert, Sean, noch dazu auf so brutale
Weise, dann gibt es kein Ende.“
„ Dann gibt es kein Ende“, echote Fordyce mit Grabesstimme,
wandte sich der Kamera zu und wiederholte mit dem ganzen Pathos, zu
dem er fähig war: „Es gibt kein Ende.“
Alle atmeten rasch durch, ein paar Kameras wurden verschoben
und noch etwas Haarspray auf Fordyce' Kopf gesprüht. Bei der
nächsten Einstellung gelang es ihm sogar, Wallis ein paar gebrummte
Sätze zu entlocken, die sich leicht auf maximal zehn Sekunden
zusammenschneiden lassen würden.
Binnen einer Stunde war die Aufzeichnung fertig, und Fordyce
verabschiedete sich in aller Eile, für die er sich damit
entschuldigte, dass er parallel eine Hinrichtung in Florida
verfolge - aber zum Glück stehe ihm ein Privatjet zur Verfügung.
Eines seiner Kamerateams hatte den Auftrag, die kommenden zwei Tage
in Slone zu bleiben. Vielleicht kam es ja wirklich zu
Ausschreitungen.
Am Donnerstagabend würde Sean Fordyce in der Hoffnung auf
großes Kino in Huntsville sein und inständig beten, dass die
Hinrichtung nicht in letzter Sekunde verschoben wurde. Absoluter
Höhepunkt der Sendung war für ihn immer das Interview mit der
Opferfamilie im Anschluss an die Exekution. Die Angehörigen
befanden sich zumeist in einem emotionalen Ausnahmezustand, und er
wusste, Reeva würde die Bildschirme zum Glühen bringen.
Chapter 9
Dana saß fast zwei Stunden lang am Telefon und musste ihren
geballten Charme einsetzen, um in Slone einen Polizeibeamten
aufzutreiben, der bereit war, sich durch die Akten zu wühlen, um
für sie herauszufinden, dass Travis Boyette dort tatsächlich am 6.
Januar 1999 wegen Trunkenheit am Steuer festgenommen worden war.
Nach seiner Inhaftierung seien schwerwiegendere Anklagepunkte
hinzugekommen. Er sei auf Kaution freigekommen und habe die Stadt
verlassen. Die Anklage sei fallengelassen und die Akte geschlossen
worden, als Mr. Boyette in Kansas verhaftet und zu zehn Jahren
Freiheitsentzug verurteilt worden sei. Der Beamte erklärte, dass
man in Slone bestrebt sei, alle Fälle loszuwerden, die, aus welchen
Gründen auch immer, nicht bearbeitet werden könnten. Es lägen keine
Haftbefehle gegen Mr. Boyette vor, zumindest nicht in Slone oder
Chester County.
Nachdem Keith keinen
Weitere Kostenlose Bücher