Geständnisse eines graumelierten Herren
können, als täten sie es nicht. Alles klingt sehr selbstverständlich. Auch Detlefs Abwesenheit. Herausgefahren ist sie, will sich das Landleben unbeeinflußt vorstellen, denn wer aus der Stadt dränge, sei nicht sie, sondern ihr Mann, angesteckt von Renates Landschwärmerei. Auch am Bühlhof sei sie vorbeigefahren, habe aber nicht gehalten bei den fremden Menschen, und dann sei’s ihnen zu heiß geworden...
Lukas versteht das alles. Ihm gefallen ihre Schenkel, ihre Arme, die ganze knackige Kompaktheit im nicht zu hellen, nicht zu langen Blond. Mit aufgestützten Köpfen liegen sie einander zugewandt, Adrian lagert auf Distanz, in ein Buch vertieft. Seine Mutter versteht auch alles so gut, was Lukas betrifft, seinen Spleen, am Zu-Haus herumzubasteln, sein gemächliches Einrichten der Stadtwohnung, die innere Rückkehr in die alte Heimat. Gerade die könnte sie ihm erleichtern, denken beide in den Pausen, die schon ein Anzeichen sind, daß es darauf hinauslaufen wird.
Ihr gegenseitiges Verständnis für einander drängt nicht zu immer neuen Fragen nach dem Wesen, vielmehr nach Bewegung. Gleichzeitig finden sie’s an der Zeit, sich abzukühlen, nebeneinander zu gehen, während Adrian liest und liest. Sie verlassen die Fleischhalde, über das Geröll geleitet er sie an der Hand, verstärkt die Fürsorge, als die Steine glitschig werden. Weit gehen sie hinein, bis über die Mitte, wo die Strömung spürbar wird. Sie tauchen ein, er hält sie fest und beide schlagen aus der Kavalierstat probeweise Genußkapital.
Warum nicht? Alles hätte seine Unordnung. Sie ist latent verheiratet, ich müßte nicht ständig präsent sein, Reiz und Reife hielten sich die Waage. Eine kommode Liebelei. Vollendung beginnt bei fünfunddreißig, hab ich damals gesagt, ich glaube zu Daniela in dem Haus am See. Daß mir das jetzt einfällt?
„Tut gut!“ frohlockte sie, aufrecht im knietiefen Wasser, naßstraff mit ausgestreckten Armen. Und im Hintergrund das Gebirge. Für den Männchenmaler eine Süßwasseroperette. Er übernimmt den Buffopart, schnell wie ein älterer Delphin aus dem Element, faßt ihre Hand und zieht sie eine große Fermate lang an sich. Ihre Blicke halten sich umschlungen, noch während sie zurückkehren zu Vernunft und Adrian.
Es drängt ihn zu Gelächter. Er kippt die Stimmung um. Wandelnde und herumstehende Hüllenlose regen den Männchenmaler zu einer neuen Wissenschaft an, zur Kunst der Charakteranalyse aus der mittleren Rückseite, kurz Popologie genannt. Denn — so doziert er — was ein Gesicht verbergen kann, verrät die Rückansicht. Aber auch das Umfeld, der Übergang zur Sitzfläche, erscheint ihm für die Beurteilung wichtig.
Georgia spielt mit. Im Wechsel treffen sie die wesentlichen Unterscheidungen: die birnenförmigen als Symbol des Ehrgeizes; die querläufigen der Querulanten; die eingezogenen der Ichschwäche bis zur totalen Unpersönlichkeit; das sanfte Oval der Gutmütigen; die Teigigen, ohne Biß, im Volksmund als Lahmarsch bekannt; die hochangesetzte, pralle Genießerbacke; der infantile Wabbler; die tiefe Kluft der Kreativität, die vertikal-muskulösen Kissen der stillen Selbstüberwinder, als auch Rennfahrerhintern zu bezeichnen; die Basedow-Backen des Eigensinns; das zierliche Zucken der Grazie auf straffer Drittelkugel; die Saftbacken des Brutalen; Wendigkeit, Verspieltheit im diagonalen Muskelspiel weiter Popolarität; die lange Falte der Langmut und dergleichen mehr.
Das Spiel endet bei Mutmaßungen in nächster Nähe. Beide sind ja bedeckt und können raten, ohne sich festzulegen. Georgia läßt sich Grazie, Verspieltheit und Eigensinn bescheinigen, Lukas gutmütigen Rennfahrer und kreativen Genießer, und, weil er den Bauch einzieht, der hier gar nicht hergehört, kommt noch das Prädikat eitel hinzu.
Genug.
Sie stören Adrian beim Lesen, ziehen sich an. Durch den Wald kommen sie zu der langen Wagenreihe am Weg ins Dorf, wo die Familien lagern — man wird es sehen, anderntags. Möglichst geschickt wendet Lukas das ungewohnte Auto, statt sie fahren zu lassen und findet seine Beschützererziehung, maßvoll angewandt, eher genetisch begründet als konservativ. Bis zum Bühlhof hat er das Fahrzeug im Griff. Martina und ihre Urwüchsigen lassen die Kaffeetassen sinken. Im Vorübergehen freundlich-distanziert grüßend, wie Alteingesessene auf einem ländlichen Fest, begibt sich die falsche Familie in den Hof.
Am Tisch in der Stube kredenzt Lukas den Tee mit Wasser aus dem Brunnen.
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