Geständnisse eines graumelierten Herren
überraschend kam, klang das blecherne Klingeln des Telefons christkindhaft silbern, das noch ungläubige Hallo, in den Hörer gesprochen, wurde erwidert. Georgias Stimme. An sie hatte er gar nicht gedacht.
Wie’s denn gehe und so? Nein, in der Stadt war kein Gewitter, nur in Rundfunk und Fernsehen. Ihre Frage, wann er mal hereinkomme, läßt er offen, bleibt überhaupt wortkarg. Lukas haßt den geschwätzigen Herrenreitercharme, er will nicht reden und merkt daran, was er hören will: Wie sie das macht, ihm keine Avancen zu machen und doch zugibt, daß sie ihn sehen möchte. Ohne falsche Töne, hoffentlich.
Georgia bewahrt Geschmack. Die Tändelei mit Ritardando inspiriert ihn — zu Gedanken über sich.
Vielleicht bin ich altmodisch? Aber wenn schon, dann Anmut bei der Balz. Oder ist das das Progressive an mir? Ich muß mich hier neu einrichten. Komplett. Muß ich? Wie liebt man in meinem Alter? Vorsichtig ja, schicksalsgesteuert. Vielleicht sollte ich meine Gedanken aufschreiben? Man kommt sich nicht auf die Schliche, wenn man sie nicht festhält. Seelenbuchhaltung entwichtigt ungemein. Liebe war mir eigentlich immer Kreativitätsvehikel. Ich habe gespielt, mich erobern lassen, ein bißchen Leidenschaft simuliert... und weitergesucht. Durchaus durchschnittlich, keine Abschußliste. Einmal, bei vollem Einsatz — Lilly — war ich plötzlich allein und bin dramatisch ins Ausland abgeschmollt. Erfolg: Eine moderate Ehe mit Tod als-Scheidungsgrund. Den Bürgertraum vom großen Glück hab’ ich mir erspart. Das war’s eigentlich. Vermisse ich etwas? Ich fühle mich jungfräulich, voll ungenutzter Reserven für Momentaufgaben. Aber es muß nicht sein. Ich suche keine neuen Menschen. Harmonie mit ein paar alten Freuden ist mir Inspiration genug. Oder mach ich mir da was vor? Und wenn? Nicht zu viel wollen, damit man nicht so viel muß.
Lukas hatte noch Männchen für England gemalt und gut geschlafen. Würde er sein Teewasser wieder auf dem Elektroherd kochen können? Unter einem unschuldig strahlenden Himmel standen Wiesen und Felder zum Teil noch tief unter Wasser.
Die Schafe!
Ungefüllt blieb der Holzeimer stehen. In Halbschuhen querbeet unterwegs, traf er Alois, der mit seinem Traktor gleichfalls den Pferch ansteuerte und ihm gutgelaunt zurief: „Grüass di! Hab mir’s doch denkt. Is halt was anders, wenn sich einer auskennt mit’m Landleben.“
War das versteckte Kritik an Daniela und Renate oder an hofbewohnenden Städtern ganz allgemein? Letzteres, wie sich herausstellte. Während sie die Tiere auf eine höher liegende Wiese trieben, berichtete der Alois, vom ländlichen Nachrichtendienst frisch versorgt: Da hatte auf dem Messnerhof, drüben über der Straße, dieser Köttgens, so hieß der Stadtmensch, am Zaun zu seinem bäuerlichen Nachbarn Fichten gepflanzt. In der Hecke wütete die eingeschleppte amerikanische Sitka-Laus. Gegen das Aussterben der Zweige wehrte sich Stadtmensch Köttgens, von anderen Stadtmenschen beraten, mit einer hochkonzentrierten Mischung aus dem Giftsprüher, und dies, ohne auf den Wind zu achten, der die fein zerstäubte Chemikalie in Nachbars Gemüsegarten trug. Bald nach dem Essen mußte der Arzt gerufen werden. Zur gesamten Familie. So kamen sie drauf...
Einen Karikaturband städters landleben erwägend, weil es sicher umweltfreundlich wäre, das humoristische Gewicht innerhalb der Europäischen Gemeinschaft etwas mehr nach Deutschland zu verlagern — radelte Lukas seine Männchen zur Poststelle im Dorf. Auf dem Gepäckträger klemmte der Rest eines zerschnittenen Gummistiefels.
Im Schaufenster der Schuhmacherei mit Laden wiesen drei Gipsmodelle bizarr deformierter Füße stumm und staubig darauf hin, welchen Schwierigkeiten die Hand des Meisters gewachsen sei. Daneben glänzte Fabrikausstoß, die Türklingel läutete, nostalgisch hell. Ohne die Erklärung des Kunden bis zu Ende abzuwarten oder gar das Gummiwrack anzusehen, brachte die Schuhmachersfrau Gummistiefel in Danielas Größe. Der Preis ermunterte Lukas, sich auch ein Paar zu kaufen, eigens für den Bühlhof — er würde ja wohl öfter herauskommen — , und die gefütterten Englischen in der Stadtwohnung lassen. Für alle Fälle.
„Da schau her!“ platzte eine Stimme in die Anprobe.
„Maxi!“
Der Friesenblonde reichte die Pranke, ließ einen Stuhl ächzen und verlangte Gummistiefel. Obwohl seine Füße im Kaliber seinen Händen nicht nachstanden, fand die Schuhmachersfrau Passendes.
Auch Maxi war
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