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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Die Tür zur Küche ist geschlossen. Der Hausmeister will nicht gestört werden, falls jemand kommt, um etwas zu holen.
    Selbstbeschäftigter Adrian hat sich wieder in seine Leseecke verkrochen. Was er möglicherweise hört, macht ihn nicht stutzig. Von seines Vaters Beziehung zu Renate ist die Rede. Sie soll nie sehr intensiv gewesen sein, aber seit Jahren andauern, vielleicht deswegen. Man respektiere Abwechslung. Beiderseits. Durch Renate habe Detlef wohl des öfteren von einem gewissen Lukas gehört, und der sei ihm ein Dorn im Bett.
    Draußen packen die Urwüchsigen zusammen. Sie haben noch mehr vor, trotz Rückflutverkehr. Martina kann sich den Auftritt als Fernsehbäuerin nicht verkneifen. Die weichlederne Übernachtungstasche am Riemen geschultert, schaut sie in die Stube, ganz Hausherrin, die bedauert wegzumüssen, was jedoch nicht stören soll. Man möge nur später das Licht löschen und die Tür schließen — sagt ihr Tonfall hinter dem neugierigen Abschiedsgruß, den die falsche Familie huldvoll erwidert. Auch angesichts des schmutzigen Geschirrs, das sie in der Küche vorfinden, bleiben Lukas und Georgia gelassen. Was sie tun, sei’s abspülen, Abendbrot richten oder essen, geschieht mechanisch, während sie reden, reden, über alles und nichts, auf Suche nach Übereinstimmungen, Gemeinsamkeiten. Bis Adrians Gähnen nicht mehr zu übersehen ist. Ein Handkuß am Wagen seinerseits, eine Floskel ihrerseits: „Es war schön, Herr Dornberg. Wenn Sie in die Stadt kommen, melden Sie sich.“

    Das Gewitter prasselte in die Teestunde, die damit buchstäblich ins Wasser fiel. Der elektrische Herd erhitzte das Wasser aus dem Brunnen nicht, der Ölbrenner schwieg, Glühbirnen blieben kalt, in den Kühlschränken stieg die Temperatur, der Nervus rerum des Fortschritts war gelähmt. Für den Magen des Hofhüters kein Grund, auf sein dringendes Verlangen nach Warmen zu verzichten, gerade heute.
    Lukas holte Holz und heizte den alten Küchenherd an. Es würde dauern, wie aus Schottland gewohnt.
    In aller Frühe hatte er sich in die Stadt aufgemacht. Seine Möbel waren gekommen, die Spedition ließ ihm keinen Spielraum. Wenn er die Lieferung zwischen acht und neun Uhr nicht akzeptiere, könne es lange dauern, bis sich wieder eine Gelegenheit finde. Von halb acht bis halb zwei hatte Lukas in seiner Wohnung gewartet, auf Kisten, ohne einen Kanten Brot in der Küche. Dann mußte er Verständnis haben, mit anpacken und dankbar sein. Trinkgelder extra. Wer mag da noch lang in der Stadt verweilen?
    Nun fällt die Teestunde des Nichtbauern auf dem Land ziemlich genau mit der Fütterungs- und Melkzeit zusammen. Beim Holznachlegen schob ihm das Unterbewußtsein den Pacherbauern in den Sinn.
    Die Melkmaschine! Elektrisch... Die armen Kühe...
    Melodramatisch begleitete Donner den komfortablen Griff zum Telefon, doch während der wählende Finger die Scheibe drehte, schlug ein Blitz die Leitung tot. Nun galt es, aus der Tugend eine Notlage zu machen. Griffbereit stehen auf dem Lande Gummistiefel dort, wo sie gebraucht werden. Lukas’ Gesicht spiegelte, was er am anderen Ende empfand:
    So klein hab ich Renates Füße nicht in Erinnerung!
    Eingeklemmt, mit durchgebogenem Rist, mußte sich der freiwillige Helfer zur Entlastung gegen die Hoftür lehnen, schon ahnend, bei Daniela Linderung nur um Millimeter zu erfahren, vorausgesetzt, Renates Schuh würde ihn überhaupt wieder freigeben. Minutenlang zögerte die fesselnde Gewalt seinen Kampf gegen die entfesselten Gewalten hinaus. Daniela empfing ihn bereitwilliger, loslassen aber — Omen oder nicht Omen, das fühlte er überdeutlich — würde sie ihn nimmermehr. Im eigenen Regenmantel wenigstens oben bewegungsfrei, humpelte der Hofhüter in den ehemaligen Roßstall zu Renates Wagen und schoß, ohne das rechte Gefühl für den erforderlichen Pedaldruck, rückwärts hinaus in die Sintflut. Der Regenvorhang war so dicht, daß er zwar die beiden fleißig wedelnden Scheibenwischer sah, sonst jedoch nichts. Gleichsam durch prickelnde Brauselimonade fuhr er aus der Erinnerung an den Weg, mit schmerzenden Füßen, aber glücklichen Herzens darüber, wie wenig die Zivilisation dem Instinkt bisher anhaben konnte. Eine extreme Situation genügt, sofort sind alle sonst dahinkümmernden Sinne wieder da, übernehmen wie Lotsen an Bord, die Navigation des gefährdeten Lebens.
    Im Pacherhof brannten Kerzen, die Tür war nicht abgesperrt. Nach einem Blick in Stube und Küche, triefte Lukas zum

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