Geständnisse eines graumelierten Herren
Segeltuchhütte kommt der Bauer. Er dreht sich um und hilft zwei Damen in langen Kleidern unter dicker Vermummung herunter vom hochbeinigen Gefährt. Also doch ein Unfall. Er hat sie mitgenommen. Der Wagen liegt irgendwo im Graben.
Während der Gastgeber einen Mantel überzieht, um ihnen vorsichtig entgegenzugehen, hat der Bauer, in Bundhose, Windjacke und Trachtenhut, am Anhänger die Klappe heruntergelassen. Ein junger Mann springt heraus, im Smoking, ohne Mantel, gefolgt von zwei Frauen in langen Kleidern unter Anoraks.
Ein zweiter Unfall? Irgendwie fühlt man sich doch für seine Gäste verantwortlich.
„Die Bühlhöfler!“ ruft da der Gastgeber.
Die Dame des Hofs atmet auf. Kommen die mit dem Traktor! Sowas kann nur Landleuten einfallen, in dieser glatten Nacht. Alle andern, die zugesagt haben, kommen aus der Stadt. Fast alle, an die sechzig Personen immerhin.
Warum Daniela ihm den Thermometersturz nicht vorausgesagt habe, scherzdroht der Doktor und Professor. Sie weiß es.
„Astrologen mit Minderwertigkeitskomplexen mögen sich ans Wetter wagen, die seriösen lassen sich überraschen.“
Es soll nicht die einzige Überraschung bleiben an diesem Abend. Wegen der jungen Leute haben sie von den Gastgebern gefaßte Zustimmung erfahren. „Wenn’s nicht anders geht...“
Daraufhin konnte es Lukas nicht lassen, dem Burschen, der sich Freddy nennt, seinen Smoking aufzuschwatzen. Renate versorgte die Zwillinge, Lydia die Mollige und Cornelia aus eigenen Beständen. Daniela verpaßte ihnen andere Frisuren. Die drei gewannen Spaß an der Verkleidung und ließen sich überreden, mitzuspielen.
Die Schale erleichtert’s den Gastgebern, die fremden Kinder herzlich willkommen zu heißen. Alle geben sich locker, Freddy, der sich vor dem Spiegel die Smokingfliege zurechtgezupft hat, macht gar Konversation. Das Glatteis ist ein Thema, auf dem er nicht ausrutschen kann.
Lukas’ Einfall, sich den alten Traktor vom Nachbarn zu leihen, wird allgemein gelobt. Er sieht sich um in der hochkultivierten Ländlichkeit. Marmorboden im Flez, Wandleuchten aus Holz, eine gefaßte Bauerntruhe. Nur er fällt aus dem Rahmen. Beim Begrüßungschampagner, von einer Haushälterin mit weißer Schürze in der Stube gereicht, steht er in Bundhose und Harristweedsakko zwischen den Herausgeputzten wie ein legerer Gastgeber, für den sich die andern zu fein gemacht haben.
„Wir schauen uns mal um!“ Lukas nimmt Freddy am Arm. Cornelia erzählt gerade ihren Ausrutscher in den Graben, der Gastgeber wird ans Telefon gerufen. Sie folgen ihm in den ausgebauten Stall, wo leise Volksmusik plätschert.
Freddy hat sich gebückt und die Hand auf eine der roten Fließen gelegt. „Fußbodenheizung!“ Da entdeckt er das Buffet, eine straßenbreite Speisenauslage mit Kaviar, Scampi, Gänseleber, Rehrücken, Wachteleiern, unzähligen Salaten und Soßen. Die Platten mit aufgeschnittenem Fleisch und Würsten in Scheiben wecken hier seltsame Assoziationen zur Chirurgie.
Der Gastgeber kommt ihnen entgegen und sieht seine Frau an. „Melliands haben abgesagt. Sie kommen nicht einmal vom Haus weg.“ Damit verläßt er den Stall. Die Dame des Hofs, zu hager für das lachsfarbene Kleid, wie Lukas findet, gibt sich gefaßt. „Haben Sie alle zu trinken?“
Leis klingelt das Telefon unter Donickes Weihnachtspräservativ.
Dann kommt der wohl auch. Beziehungsweise nicht, Leis nimmt die Lachsfarbene eine Absage entgegen. Gleich darauf noch zwei. „Es muß furchtbar sein!“ gesteht sie und ihr Blick verrät, für wen.
Daniela und Renate schauen ähnlich drein. Das kann ja ein heiterer Abend werden.
„Warten wir’s ab“, tröstet Lukas ungenau. Er strahlt Pionierlaune aus: Wie stehen wir da, daß wir dastehen!
Die drei Jungen kichern vor dem Buffet; der Gastgeber kommt mit der Champagnerflasche zurück und erfährt die neuesten Absagen. Wieder klingelt leise das Telefon.
„Da kommt keiner mehr!“ verkündet Freddy. „Ganz ausgeschlossen.“
Ein Bündel Absagen, das die Haushälterin meldet, löst nur noch Gelächter aus. Renates Mütterlichkeit schafft sich Ersatz für die kinderlose Weihnacht. „Nachher zünden wir die Kerzen am Baum an und singen.“
So geschieht es. Das gemeinsame Singen schafft, was die Jungen suchen: Geborgenheit in der Gruppe. Die Haushälterin singt mit, Freddy schmettert die zweite Stimme, der Abend hat seine Richtung gefunden. Raus aus der Ratio, rein in die Naivität. Zu dem beschwingten „Kommet ihr Hirten“ sagen
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