Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
einfach morgen vorbei.«
»Ist so kalt, hast du nicht ’ne Decke für ihn?«
Ich deute auf das Regal mit den ganzen Decken und Kissen, und Manfred drückt und knetet sie fast alle, bis er die dickste gefunden hat. Das ist aber ausgerechnet eine, die sich nie verkaufen ließ, mit komischen rosa Maiglöckchen drauf.
»Die ist doch nicht schön«, sage ich.
»Ist egal, die ist warm!«
Wir schieben Sven, der jetzt unter einer dicken Maiglöckchendecke liegt, gemeinsam in den Kühlraum und fahren dann mit dem Aufzug hinauf. Manfred schweigt, bleibt stehen und zögert.
»Ist was?« frage ich, und er nickt: »Können wir das mit dem Anziehen zusammen machen?«
»Klar.«
»Ich mein jetzt.«
»Jetzt? Auch kein Problem.«
»Gut, dann geh ich jetzt die Sachen holen.«
Keine zwanzig Minuten später ist Manfred wieder da, hat eine Plastiktüte in der Hand, und ich sehe, dass er Angst hat vor dem, was da auf ihn zukommt.
Ich lege einen Arm um ihn und sage: »Komm!«
Wenig später stehen zwei erwachsene Männer im gekachelten Keller eines Bestattungshauses und heulen wie die Schlosshunde. Vor lauter Tränen sehen wir kaum, was wir da machen, und trotzdem tun wir es richtig und in aller Ruhe. Man(n) muss da nichts sagen …
»Jetzt ist ihm aber wirklich nicht mehr kalt«, sage ich, etwas Besseres ist mir nicht eingefallen.
Manfred nickt und meint: »Ihm nicht, aber mir …«
Ohne weitere Worte schieben wir den Jungen wieder in die Kühlkammer und fahren mit dem Aufzug hoch.
Ich weiß nicht, wie lange wir in meinem Büro einfach so dagesessen haben, ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Dann steht Manfred unvermittelt auf, und ich bringe ihn zur Tür.
Er kommt noch einmal herein, umarmt mich und drückt mich fest an sich, dann geht er hinaus, winkt kurz über die Schulter und schlurft die Straße runter.
Ist wirklich kalt draußen.
Schneewittchen einst im Sarge lag
Ich finde, ein Bestatter hat seine Arbeit dann gut und richtig gemacht, wenn der Verstorbene anständig unter die Erde gekommen ist und die Angehörigen sagen, dass alles richtig gemacht worden ist und sie zufrieden sind. Damit das so ist, müssen wir oft genug über unseren eigenen Schatten springen, denn manchmal unterscheiden sich die Vorstellungen der Angehörigen von Trauer doch schon erheblich von unseren. Schlechte Bestatter wiegeln dann gleich ab und sagen, das gehe alles nicht, gute Bestatter versuchen, die Wünsche auf jeden Fall zu erfüllen. Manchmal ist das aber gar nicht so leicht.
L ange graue Haare hat er, obwohl er erst um die dreißig Jahre alt ist. Ein bisschen komisch sieht er schon aus mit seinen roten Turnschuhen und der grünen Hose. Ständig fährt er mit einer Hand durch die Haare, die ihm in die Stirn fallen, mit der anderen Hand nestelt er immer in der selbstgestrickten Umhängetasche herum, die an seiner rechten Seite hängt. Der Gurt dieser Tasche läuft quer über seine Brust.
»Diesen hier nehmen wir!«, ruft er sichtlich erfreut aus und lacht meckernd, während er eine Reihe gelber Pferdezähne entblößt. Dabei deutet er auf einen unserer Särge.
Deshalb ist er nämlich gekommen: Seine Mutter ist verstorben, und zwar in einem Altersheim im Siegerland, wo sie die letzten beiden Jahre lebte, ganz in der Nähe ihrer Tochter, also seiner Schwester. Und genau diese Schwester, eine Frau Doktor Hildegard Rabenacker-Sommerloch, hatte bei mir angerufen. Wir möchten doch bitte einen Fahrer losschicken und die Verstorbene aus dem Siegerland hierher überführen; ihr Bruder komme bald vorbei, um einen Sarg auszusuchen, und genau in diesem Sarg müsse die Mutter geholt werden.
Nun hat er also einen Sarg ausgewählt: Modell Kennedy, ein amerikanischer Klappsarg und zugleich die größte Truhe, die wir haben. Die Bezeichnung »Klappsarg« bedeutet nicht etwa, dass man sie zusammenklappen könnte wie ein Klappfahrrad, sondern der zweigeteilte Deckel kann bei der offenen Aufbahrung am oberen Teil aufgeklappt werden.
3000 Euro soll der kosten – für einen solchen Ami-Sarg ist das ein wahres Schnäppchen.
»Nee, nee, so viel wollen wir nicht ausgeben, wir nehmen den da!«
Wieder blitzt das Pferdegebiss auf, er fährt sich durch die Haare, nestelt an seiner Tasche und hibbelt die ganze Zeit von einem Fuß auf den anderen. Jetzt hat er sich für unseren günstigsten Sarg entschieden, der käme auf 278 Euro und sieht für das Geld gar nicht mal schlecht aus. »Pappelholz«, sage ich. Ich sage immer Pappelholz, denn wenn ich nur
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