Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Weil, wenn ich echt mal Probleme habe, dann will ich nicht telefonieren. Bloß jetzt brauchst du auch nicht kommen, es ist nämlich schon viel zu spät. Bei dir kommt immer erst dein Rundfunk. Du sagst nie mal zu irgendeinem Typen: »Ich kann nicht kommen, ich muß zu meiner Familie«, sondern du sagst immer zu uns: »Da geht’s nicht, und da geht’s nicht, da hab ich das und jenes.« Wir kommen immer zuletzt und das find ich echt Scheiße (Entschuldigung) … Ich möchte, dass auch mal wir an erster Stelle kommen und dann erstdein Rundfunk. OK? Übrigens, das hat mir nicht die Mama eingeredet, das kommt ganz allein von mir. Schreib doch mal, was du dazu sagst.
Tschau
Franziska
Ich weiß nicht mehr, was ich ihr geantwortet habe. Viel wird es nicht gewesen sein. Später, als sie schon etwas besser damit umgehen konnte, hat sie, wenn etwas schiefging, mir immer spitz entgegengehalten: »Kein Wunder, ich wachse ja ohne Vater auf.« Sie hat trotz meines Versagens als Vater eine Banklehre gemacht und danach ein Studium abgeschlossen. Heute lieben wir uns. Ich glaube, sie hat mir verziehen. Dafür habe ich mit Fassung hingenommen, dass sie mich zum Großvater gemacht hat. Nach einem Martin Reiter 1832, einem Sebastian 1879, einem zweiten Sebastian 1913, einem Udo 1944 und einer Franziska 1982 hat nun 2012 ein Leopold den Stab übernommen.
Das Dorfleben in Rottbach war bayerisch-deftig und immer generationenübergreifend. Mein Nachbar, der alte Steinhart, gehörte ebenso dazu wie die Vorschulkinder. Erst war man im Burschenverein, später im Krieger- und Veteranenverein, in dem ich heute noch Mitglied bin. Wenn einer starb, stand die Abordnung des Vereins am offenen Grab und senkte die Fahne. Dazu spielte die Blaskapelle »Ich hatt’ ein Kameraden«. Das hat mich so beeindruckt, dass ich mir vorsorglich schon ein Grab auf dem Rottbacher Friedhof gekauft hatte. Später habe ich es allerdings wieder zurückgegeben. »Sehr geehrter Herr Pfannes«, schrieb ich damals an den Kirchenvorstand, »durch eine Veränderung meiner Lebensumstände werde ich das Grab Nr. III/4/1 auf dem Friedhof in Rottbach nicht in Anspruch nehmen. Ich bitte Sie daher, meine Reservierung aufzuheben.«
Dorffeste waren häufig, im Sommer fast jedes Wochenende. Es wurde gegrillt, die Frauen hatten Salat gemacht, und die Bierfässer wurden nicht zu knapp »ozapft«. Nach dem Essen wurde gesungen. Das Kufsteiner Lied, bei dem die Huber Rosa immer den Kuckuck machen musste (nur für Einheimische verständlich), das Wiener Gefängnislied, dessen Vers von der »alten Kupplerin, die dran vorüberging«, meinem Nachbarn, dem alten Steinhart, besonders ans Herz gewachsen war. An der Stelle »die dacht in ihrem Sinn, da war ich a scho drin / es is a hartes Los, wenn man verriegelt is / denn nur die Freiheit is das Paradies« liefen ihm regelmäßig die Tränen über die faltigen unrasierten Wangen. Und dann das Panzerlied. Ich zögere, das zuzugeben. So etwas singt man eigentlich nicht. Auf meinen vorsichtigen diesbezüglichen Hinweis haben mir die Rottbacher aber erklärt, dass das Lied im offiziellen Liederbuch der Bundeswehr enthalten sei und auch im österreichischen Heer gesungen werde. Der Text ist kräftig: »Obs stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht, / Der Tag glühend heiß oder eiskalt die Nacht. / Bestaubt sind die Gesichter, doch froh ist unser Sinn; / Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin.« In den folgenden Strophen stößt man »tief in die feindlichen Reihn«, und wenn einen »die Todeskugel trifft«, wird der Panzer zum »ehernen Grab«. Das Ganze zu einer eingängigen Melodie, so dass unsere Tochter offenbar keine Mühe hatte, sich alles einzuprägen. Es war meiner Frau furchtbar peinlich, als irgendwann die Kindergärtnerin bei uns klingelte und erschrocken fragte, in welchen Kreisen denn die Franziska verkehre? Sie hatte im Kindergarten das Panzerlied gesungen. Ich fürchte, sie kann es heute noch.
Rollstuhlgeschichten
Das alles klingt jetzt ein wenig heiterer und leichter, als es war. Ich saß im Rollstuhl, und dass es da Tag für Tag trotz positiver Gesamtbilanz beträchtliche Reibungsverluste, Beschwernisse und auch Verletzungen innerer und äußerer Art gibt, liegt auf der Hand. Gelähmten-Kitsch wie in dem Film »Ziemlich beste Freunde« kommt im wirklichen Leben eher selten vor. Der Film, der auf einer wahren Geschichte basiert, schildert die Freundschaft zwischen einem vollständig gelähmten steinreichen Franzosen und
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