Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
nicht beim WDR oder beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet hatten. Oder vielleicht dafür, dass sie nicht in der CSU oder in der SPD
waren, sondern in der SED. Ich weiß, dass man mit solchen Vergleichen vorsichtig sein muss, aber als sich meine Ex-Kollegen in München wieder einmal
besonders selbstgerecht über die Parteijournalisten der alten DDR mokierten, ist mir der Kragen geplatzt und ich habe gesagt: »Natürlich, und ihr seid
alle nur in der CSU, weil euch die abendländischen Werte so sehr am Herzen liegen, an Karriere hat dabei keiner gedacht.« Das hat man mir übel genommen,
weil doch die CSU eine demokratische Partei ist und die SED nicht. Was natürlich stimmt.
Möglicherweise war mein Verständnis für die anderen Lebensbedingungen und die andere Sozialisation der Menschen in meinem neuen Sendegebiet etwas zu undifferenziert. Man kam in meiner Lage angesichts des geballten Unverständnisses im Westen leicht in eine anwaltschaftliche Stimmung und hat den Osten auch da noch verteidigt, wo es nichts zu verteidigen gab. »Ossi-Versteher« hat mich eine Tageszeitung damals genannt. Ich habe das gleiche Phänomen auch bei Rudolf Mühlfenzl beobachtet, der als konservativer Hardliner mit dem Auftrag angetreten war, den DDR-Rundfunk abzuwickeln, dem dann aber nach einiger Zeit die Ungerechtigkeiten dieser Abwicklung auf Kosten der ehemaligen Mitarbeiter gegen den Strich gingen. Auch er hat sich immer stärker zu einem Anwalt der Ost-Belegschaft entwickelt. Holger Witzel, ein Ossi, der es zum »Stern«-Journalisten brachte, hat uns diese »Überidentifikation« kürzlich in einem Buch vorgeworfen. »Schnauze Wessi. Pöbeleien aus einem besetzten Land« heißen seine zusammengefassten Kolumnen.
Bei mir hat dieses emotionale Ost-Engagement möglicherweise dazu geführt, dass ich das Thema Stasi-Vergangenheit zu leicht genommen habe. Wie bei anderen Betrieben und Behörden hat sich auch bei uns die Frage gestellt, wie man mit Leuten umgehen soll, die vor der Wende mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hatten. Die sogenannten IMs, die inoffiziellen Mitarbeiter, waren die bekanntesten. Ich habe mich um diese Problematik am Anfang zu wenig gekümmert. Zum einen, weil ich damals um jeden froh war, der überhaupt bei uns angeheuert hat. Zum andern, weil es bei Mühlfenzl dazu schon eine Fragenbogen-Aktion gegeben hatte. Wir haben uns teilweise darauf verlassen und nicht mehr alle neuen Mitarbeiter nochmals überprüft. Und zum Dritten sicher auch, weil mir als Mann aus dem Westen die politische und moralische Relevanzdieser Frage nicht so naheging wie vielen Einheimischen. Marianne Birthler, die damalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, mit der ich mich einmal über die Thematik unterhalten habe, sagte ganz freundlich zu mir: »Ihr Problem scheint mir zu sein, dass das Ganze für Sie keine Herzensangelegenheit ist.« Ich hatte damals in einem Interview mit Michael Hanfeld von der FAZ etwas salopp erklärt, ich sei nicht als Racheengel in den Osten gekommen. Das war zwar richtig, aber etwas unsensibel. Bekanntlich ist uns die Sache dann ja auch auf die Füße gefallen. Als es zu immer mehr Enthüllungen kam und auch die Presse in die Thematik einzusteigen begann, haben wir uns entschlossen, in die Offensive zu gehen und nochmals alle MDR-Mitarbeiter bei der Stasi-Unterlagen-Behörde einzureichen. Auch die freien Mitarbeiter, die wir beim ersten Mal außen vor gelassen hatten, wurden diesmal mit einbezogen, weil gerade aus dieser Gruppe einige auf dem Bildschirm präsent und daher in der Öffentlichkeit besonders bekannt waren. Der ganze Prozess wurde im Haus von heftigen Diskussionen begleitet und war überaus schmerzhaft. Es kam zu einigen Entlassungen, zu Rückstufungen und Umsetzungen. Ein paar Moderatoren bekamen Bildschirm- oder Mikrofonverbot. Danach war Ruhe.
Dass die Situation auch bei den Opfern und den sogenannten Opfern unübersichtlich war, machte die Sache nicht einfacher. Natürlich gab es eine Reihe von Personen, die in der DDR schikaniert worden waren, die ihren Beruf nicht ausüben und deren Kinder nicht studieren durften, von den politischen Häftlingen gar nicht zu reden. Aber diese Gruppe erhielt nun nach meinem Eindruck von Monat zu Monat Zulauf durch Personen, die ihren Opferstatus erst nach der Wende entdeckt hatten oder ihn jetzt zumindest kräftig ausschmückten. Diese Spätopfer waren für die Chefs unangenehm, weil sie durch ihre aufgesetzte Larmoyanz das
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