Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Zusammenarbeiten schwierig machten, aber sie waren vor allem für die unangenehm, die wirklich unter dem System gelitten hatten, weil sie auf diese Weise in eine unappetitliche Nachbarschaft kamen. Manche von den wirklich Betroffenen haben dann, um sich abzusetzen, ihren Opferstatus ganz besonders betont, andere zogen es vor, gar nichts mehr zu sagen, so dass um diese gesamte Thematik allmählich eine unangenehme misstrauische Atmosphäre entstand. Ich erinnere mich an eine Podiumsveranstaltung in der Runden Ecke, der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale, in der die Wellen hochschlugen. Der Saal war brechend voll, die Stimmung aggressiv. Ich war neben anderen angeklagt als jemand, der zu viel Verständnis für die Täter und zu wenig für die Opfer hätte. Als mich ein Opfer-Vertreter unter Verweis auf sein übles Schicksal besonders heftig attackierte, ließ ich mich zu der Bemerkung hinreißen: »Man ist eben kein Opfer.« Den Satz hätte ich gern zurückgeholt. Zum einen, weil er natürlich ungerecht und unangemessen war, zum anderen, weil er die Stimmung im Saal fast zum Überkochen gebracht hätte und meine Mitarbeiter Angst hatten, dass man mich gleich vom Podium herunterholen würde.
Ob diese ganze Aufarbeitung wirklich Ausfluss höchster irdischer Gerechtigkeit war, daran hatte ich schon damals meine Zweifel. Mein Eindruck war, dass man
es sich mit der Unisono-Entrüstung über die IMs etwas einfach machte. Schon das einheitliche Etikett »Stasi-Mitarbeiter« war bei näherem Hinsehen ja nicht
aufrechtzuerhalten. Ich habe Akten gelesen, die ein solches Ausmaß an Bösartigkeit und krimineller Energie widerspiegelten, dass man mit diesen Leuten um
keinen Preis etwas zu tun haben möchte. In anderen Fällen – den meisten – waren die Berichte banal und nichtssagend. Der Informant hatte offensichtlich
seine »Pflicht« erfüllt und damit weder derStaatssicherheit viel geholfen noch irgendjemandem viel geschadet. Auch die Motive für eine Mitarbeit waren
verschieden. Es gab Freiwillige, die sich aus weltanschaulicher Überzeugung nach vorn gedrängt hatten, es gab Unglückliche, die gnadenlos erpresst wurden,
und es gab die Alltagsopportunisten, die es überall gibt. Sie wollten durchkommen und gehorchten. Und schließlich war die Dauer der Mitarbeit höchst
unterschiedlich. Manche begannen früh und hörten erst 1989 auf, als ohnehin alles zu Ende war. Andere wurden als Schüler geworben und schieden zwei Jahre
später wieder aus. Obwohl die Sache oft zwanzig Jahre und mehr zurücklag, wurden sie jetzt von journalistischen Aufklärern als IMs geoutet. Man scherte
alles über einen Kamm und warf vieles durcheinander. Moralische Urteile und die Forderung nach arbeitsrechtlichen Konsequenzen zum Beispiel. Eine bloße
Tätigkeit als IM wurde von keinem Arbeitsgericht als Entlassungsgrund anerkannt. Trotzdem warf man uns vor, solche Leute zu beschäftigen. Das wäre in der
Konsequenz auf die Forderung hinausgelaufen, bei der Beschäftigung von Mitarbeitern nicht fachliche und rechtliche Kriterien anzuwenden, sondern
moralische. Eine bemerkenswerte Innovation. In einem Artikel in der FAZ (»Stasi, Stasi – und kein Ende?«) habe ich am 6. Februar 2001 die Problematik dargestellt und vorgeschlagen, dann aber bitte schön alle deutschen Redaktionen auf die moralische Qualität ihrer Mitglieder zu untersuchen.
Günter Grass hat damals darauf hingewiesen, dass der hartnäckige Verweis auf lange zurückliegende sittliche Verfehlungen und die Forderung nach lebenslanger Konsequenz etwas absurd Archaisches habe. Strafrechtlich relevante Tatbestände würden in einem Rechtsstaat verfolgt, und selbst da gebe es das Prinzip der Verjährung. Alles andere fiele in den Bereich persönlicher Schuld, der man mitStraf- oder Arbeitsrecht nicht beikommen könne. Dass Grass bei diesen verständnisvollen Sätzen möglicherweise auch an seine eigene Vergangenheit dachte, konnte man damals noch nicht wissen.
Die Einwände waren alle richtig, aber sie haben den MDR nicht aus der Schusslinie gebracht. Vor allem Uwe Müller von der »Welt« hat sich damals als Jakobiner verwirklicht. Auch hier halfen uns Gegendarstellungen gegen falsche Behauptungen letztlich nicht weiter. An den Zweitüberprüfungen und den rigorosen Konsequenzen, gerecht oder ungerecht, führte kein Weg vorbei. Ich habe die individuellen Härten bedauert, sie aber nach dem alten bayerischen Motto »Der Bauer ist nichts, der Hof ist alles« in
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