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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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Scheinrechnungen über irgendwelche Produktionsdienstleistungen ausgestellt, die nur teilweise oder gar nicht geliefert wurden. Das so ergaunerte Geld haben sich die beiden geteilt. Die Sache flog auf, als die Produktionsfirma Pleite ging und der Produzent Selbstanzeige erstattete. Später hat die Staatsanwaltschaft auch noch gegen einige andere Firmen wegen Bestechung und gegen einige Mitarbeiter wegen Beihilfe ermittelt, aber der Betrug mit den Scheinrechnungen war der Kern der Affäre. Die Schadenssumme belief sich alles in allem auf 8,9 Millionen Euro. Der Herstellungsleiter hat gestanden und wurde zu fünf Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. In einem weiteren Prozess wurde er inzwischen nochmals der Untreue und Bestechlichkeit für schuldig befunden und das Strafmaß auf sechs Jahre und drei Monate erhöht.
    Ich bin relativ hart im Nehmen, und mein Menschenbild ist nicht so abgehoben, dass es durch einen Betrüger aus dem Lot geraten könnte. Aber das hat mir doch zugesetzt. Zum einen kannte ich den Mann. Er hat auf mich wie auf alle, die mit ihm zu tun hatten, einen freundlichen, seriösen, tüchtigen Eindruck gemacht. »Der K. schmeißt den Laden, da braucht man sich um nichts zu kümmern«, war das allgemeine Urteil. Zum andern war es uns ein Rätsel, wie dieser Betrug über so lange Zeit unentdeckt bleiben und ein solches Ausmaß annehmen konnte. Dass es in Deutschland noch ganz andere Kriminalfälle gibt, die über Jahre unentdeckt blieben, ist kein wirklicher Trost. Und zum Dritten hatte ich den Kinderkanal unter hohem Einsatz zum MDR und nach Erfurt geholt und fühlte mich jetzt auch persönlich von diesem Skandal betroffen und beschädigt.
    »Wie konnte es dazu kommen?«, das war die Frage, die nicht nur mich in diesen Monaten umtrieb. Wirklich zufriedenstellend kann ich sie auch heute nicht beantworten. Es ist ja nicht so, dass der KIKA eine prüfungsfreie Zone gewesen wäre. Es gab Prüfungen der Wirtschaftsprüfer. Keine Beanstandung. Es gab Prüfungen der Rechnungshöfe. Keine Beanstandung. Es gab eine Prüfung der Revisionen von HR und ZDF. Dort wurden zwar, wie bei solchen Prüfungen üblich, eine Reihe von Details moniert, aber der Betrugsfall selbst nicht bemerkt. Hinterher versuchten sich die Beteiligten verständlicherweise eine weiße Pfote zu machen, aber der entscheidende Satz der HR/ZDF-Prüfungsmitteilung lautete so: »Die beim Kinderkanal am Standort Erfurt zur Erledigung der dort anfallenden Aufgaben installierte Aufbau- und Ablauforganisation ist angemessen und an den schlanken Abläufen orientiert.«
    Ich will den MDR nicht aus der Verantwortung reden, die liegt bei uns, da gibt es nichts zu deuteln. Aber es scheint nicht ganz offenkundig gewesen zu sein, was dort in Erfurt passiert ist. Anscheinend kamen mehrere Dinge zusammen, die den Schaden in diese Größe anwachsen ließen. Im Nachhinein glaube ich, dass es vor allem drei Ursachen waren.
    Es war zum einen die Sonderstellung, die der Herstellungsleiter im KIKA einnahm. Marco K. war die große Konstante in der Geschichte dieses Senders. Er war von Anfang an dabei und hatte mehr Einblick in die Vorgänge als seine wechselnden Chefs, also die jeweiligen Programmgeschäftsführer. Er war in vielen Fragen direkter Ansprechpartner für die Programm- und Verwaltungsleute in Leipzig und war, das ist die Ironie in dieser Sache, auch für die Prüfungen des KIKA durch Dritte zuständig. Er hat im Lauf der Jahre eine ganze Reihe von Abläufen auf sich persönlich zugeschnitten und so eine enorme Machtposition aufgebaut. Diese Konzentration auf eine Person war ein Fehler. Im Nachhinein ist das völlig klar. Aber damals gab es nie Probleme damit, die Sache lief gut, der KIKA war ein Erfolg, und alle waren zufrieden. Für seine schlanke Organisation sind wir oft gelobt worden.
    Das Zweite, und das machte diesen Konstruktionsfehler so gefährlich, war die enorme kriminelle Energie, die K. in dieser Position entwickelte. Er hat gezielt und mit langer Hand ein System aufgezogen, das für Außenstehende schwer zu durchschauen und ohne spezifische Fachkenntnis kaum zu entlarven war. Er hat dieses System in zehn Jahren immer weiter perfektioniert und auf Grund seiner hervorgehobenen Stellung alle Entwicklungen, die ihm gefährlich werden konnten, rechtzeitig abgewendet. Mit seinen unbestreitbaren fachlichen und gesellschaftlichen Fähigkeiten hat er erreicht, dass diese unheilige Allianz von Betrug und Tüchtigkeit jahrelang unentdeckt

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