Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
kann.
Ich habe mich daraufhin einmal umgehört und festgestellt, dass man das Problem auch anderswo kennt. In jedem gut geölten, erfolgreichen System besteht oder entsteht offenbar die Tendenz, die Dinge so zu machen, wie man sie mit Erfolg schon immer gemacht hat – und neue, ungewöhnliche Ansätze von vornherein auszusondern. Um dies zu verhindern, gibt es Methoden, die man, so habe ich gelernt, unter dem Begriff des Innovationsmanagements zusammenfasst. Dieses Innovationsmanagement soll genau das verhindern und dafür sorgen, dass Verqueres, Unangepasstes, Überraschendes zumindest auf den Tisch kommt und angesehen wird. Dabei wird sich herausstellen, dass 90 Prozent oder sogar 98 Prozent der Vorschläge Unsinn sind. Aber eine Idee ist vielleicht darunter, die man einmal ausprobieren sollte. Ich habe das meinen Leuten vorgetragen und gleich eingeräumt, dass ich auch nicht wisse, wie das konkret funktionieren solle und ob es nicht vielleicht eine modische Schnapsidee sei. Am Ende waren wir uns aber einig, dass wir etwas in dieser Richtung versuchen wollten. Der Frage »Wie kommt das Neue in die Welt?« sollte ein wenig mehr Platz eingeräumt werden.
Ich habe dann Ende 2009 alle festen und freien Mitarbeiter des MDR zu einem Innovationswettbewerb aufgerufen. Ohne jede Rücksicht auf Konventionen, auf Sehgewohnheiten, Sendeplätze oder Geld sollte jeder das vorschlagen, was er sich schon immer für den MDR vorgestellt hatte. Das Interesse war beträchtlich. 227 Mitarbeiter haben rund 300 Anregungen für die Programme und etwa 150 Vorschläge für Verbesserungen bei Prozessen und Strukturen eingereicht. Zwei Jurys haben das bewertet, und im Mai 2010 elf Vorschläge ausgezeichnet. So zum Beispiel ein Programmformat, das junge unbekannte Bands im Sendegebiet begleitet,oder einen Vorschlag für eine Art elektronisches Wasserzeichen für weiterverwendbares Rohmaterial im Fernsehen. Natürlich gab es viele Ideen, die sich aus Kosten- oder Rechte- oder sonstigen Gründen nicht umsetzen ließen, natürlich entsteht dabei auch Frust, und natürlich gibt es die Fraktion der Abwinker, die von vornherein gewusst hat, dass das nichts werden kann. Aber alles in allem fand ich, dass allein die Aufbruchstimmung, die durch die Aktion entstanden ist, und das Empfinden der Mitarbeiter, dass ihr Engagement für die Firma gefragt ist und Ideen nicht einfach in einer Schublade verschwinden, die Sache wert war. In den kommenden Monaten gab es dann leider Ereignisse, die ein systematisches Ausbauen unseres Innovationsmanagements blockiert haben.
Ich habe es bis hierher hinausgeschoben, aber jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei. Ich muss drei Themen ansprechen, die, obwohl völlig
unterschiedlich, dem MDR sehr geschadet und einen Schatten auf mein Lebenswerk geworfen haben. Es geht um den Fall Mohren, den Betrugsfall im Kinderkanal
und die eigenartige Geschichte um Herrn Foht.
»Ein Skandal folgt auf den nächsten«
Wilfried Mohren, ein deutschlandweit bekannter Sportreporter, war seit 1992 Leiter der Sportredaktion im MDR-Fernsehen. Als gegen den
ehemaligen Sportchef des Hessischen Rundfunks, Jürgen Emig, wegen Bestechlichkeit ermittelt wurde, geriet auch Mohren ins Visier der
Staatsanwaltschaft. Wie sein Kollege Emig hatte er offenbar Sendezeit an interessierte Sportverbände und Unternehmen vergeben und dafür privat
kassiert. Es ging dabei um rund 350 000 Euro. Wir haben ihn fristlos entlassen und uns vor Prozessbeginn auf einen Vergleich geeinigt. Mohren bezahlte dem
MDR rund 380 000 Euro (Schaden plus Unkosten), und wir verzichteten dafür auf eine Klage. In dem anschließenden Prozess wurde er wegen Bestechlichkeit zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Fall war ärgerlich, aber irgendwie im Rahmen üblicher Betrugsfälle. Mitarbeiter mit einer gewissen kriminellen Energie sind imstande, ihr Unternehmen zu betrügen, zumindest für eine gewisse Zeit. Diese Erfahrung haben andere Sender auch gemacht. Besonders unangenehm war für uns, dass damit in der Öffentlichkeit eine bestimmte Blickweise auf den MDR vorbereitet war. Das Urteil »Skandalsender« lag sozusagen abrufbereit in der Luft. Das schlug beim nächsten Fall, dem Betrug beim Kinderkanal, voll durch, wobei dieser Fall wirklich schlimm war.
Zunächst einige Fakten: Ein Herstellungsleiter im Kinderkanal, das war nach dem Programmchef der zweitwichtigste Mann, hatte über Jahre hin dem Geschäftsführer einer Produktionsfirma
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