Gestern fängt das Leben an
Vielleicht kann der Kalender meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.
Ja, tatsächlich! Heute ist Megan in der siebten Woche schwanger, und sie werden uns die gute Nachricht überbringen. «Eigentlich ist es noch viel zu früh», werden sie sagen, «um es irgendwem zu erzählen, aber was euch betrifft, haben wir es einfach nicht mehr ausgehalten.» Sechs Tage später wird Megan ihr Baby verlieren, und ich werde diejenige sein, die sie zu Hilfe ruft.
«Nein, nein. Natürlich gehen wir mit», erkläre ich Jack und stehe auf, um ihn zu küssen, als sei das der Beweis dafür, dass ich mich auf dem Weg der Besserung befinde. «Wohin gleich nochmal?»
«Ins
Café Largo
. Das hast du doch vorgeschlagen. Und angefangen rumzuzicken, als ich woanders hinwollte …» Jack verstummt. «Geht’s dir auch wirklich gut, Jill? Ganz sicher?»
Ich versuche, mir den Streit ins Gedächtnis zu rufen, auf den er anspielt. Ganz vage dämmert es mir. Jack war beleidigt, weil ich ein Lokal ausgesucht hatte, das er nicht mochte. Und ich reagierte gereizt, da es mal wieder verdammt typisch für ihn war, sich fein rauszuhalten und mir die ganze Arbeit zu überlassen. Dann folgte sein wütender Abgang ins Schlafzimmer mit Türenknallen und meineZweifel daran, ob wir tatsächlich unter ein und demselben Dach leben konnten.
Jetzt, nach etlichen Jahren, in denen ich gelernt habe, was echte Probleme sind, in denen ich mit einem Mann zusammengelebt habe, der zwar immer noch liebevoll, aber mit Sicherheit nicht mehr so engagiert und aufmerksam war wie einst, mit einem Mann, der zwar rational und klug, aber weder besonders leidenschaftlich noch spontan war, nach Jahren, in denen ich mich langsam aber sicher wegbewegte von dem Menschen, dem ich Treue für den Rest meines Lebens geschworen hatte, nach Jahren, in denen ich mich in seinem Schatten und seinen Zielen zu verlieren drohte, nach all diesen Jahren kam mir der Streit über eine Restaurantreservierung oder darüber, wer den Müll rausbringt, jetzt völlig sinnlos vor. Das war um so viel einfacher als die Hürdenläufe, die Henry und ich in der Zukunft zu absolvieren hatten.
«Tut mir leid», sage ich sanft und lege zärtlich die rechte Hand an seine stoppelige Wange. «Ich weiß, dass du das
Largo
nicht ausstehen kannst.»
Keine Ahnung, warum es damals ausgerechnet das
Café Largo
hatte sein müssen, aber ich vermute, Jack hatte mich mit irgendwas provoziert. So lief das Spiel zwischen Jack und mir nun mal. Wie du mir, so ich dir; Auge um Auge, die ganze Palette.
«Ach, schon okay.» Sein Tonfall ist versöhnlich, dennoch sieht er mich immer noch forschend an. «Also, ich muss jetzt zurück in die Redaktion. Leg dich lieber nochmal hin.»
Er nimmt mich am Arm und führt mich ins Schlafzimmer, schlägt mit Schwung die Decke zurück und sieht zu,wie ich ins Bett krabble. Er beugt sich über mich und küsst mich. «Bis heute Abend. Ich liebe dich.»
Ich beiße verlegen auf meine Lippen. Was erwartet er jetzt von mir? Was soll ich antworten? Ich habe die letzten sieben Jahre daran gearbeitet, die emotionalen Erinnerungen an Jack aus meinem Gedächtnis zu verbannen, damit endgültig kein Platz mehr blieb für Reue oder Zweifel – und ganz bestimmt nicht für sehnsüchtige Blicke zurück.
Doch jetzt ist er wieder da. Und auch meine Liebe und meine Hoffnung sind wieder da. Aber sollten sich die Ereignisse meines früheren Lebens tatsächlich wiederholen, würde ich sie schon in ein paar Monaten für die Liebe und die Hoffnung eines anderen Mannes eintauschen.
Also antworte ich, statt aus dem Augenblick etwas zu machen, so wie ich es vor sieben Jahren getan habe, vor sieben Jahren, als ich Jack noch liebte und Henry noch nicht in mein Leben getreten war und ehe mein Masseur mein verkrampftes Qi befreite und damit gleichzeitig etwas völlig anderes auslöste.
Also sage ich: «Ich dich auch» und ziehe mir die Decke über den Kopf, als Jack zur Tür hinaus verschwindet.
It ain’t no lie
, echot das Lied in meinem Kopf.
Baby, bye, bye, bye, bye, bye.
***
Eine Stunde später stehe ich, die Hand gegen die blendende Vormittagssonne vor dem Gesicht, da und starre mein Haus an. Mein künftiges Haus. Mein jetziges Haus. Ach, keine Ahnung.
Ich habe dem Taxifahrer, der mich hergefahren hat undauf der anderen Straßenseite zur Weiterfahrt bereitsteht, ein Bündel Geldscheine in die Hand gedrückt. Ich hatte früher grundsätzlich eine eiserne Reserve in meiner Sockenschublade, für Notfälle,
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