Gestern fängt das Leben an
Schneidezahnlücke um. «Und du? Was hast du denn da hinter deinem Ohr?» Untertosendem Applaus und ohrenbetäubendem Gekreische, das nur Kinder unter sieben Jahren von sich geben können, bringe ich die nächste Münze zum Vorschein. Anschließend hole ich ein Deck Spielkarten aus der Hosentasche und fange an zu mischen.
«Also gut. Geburtstagskind, such dir eine Karte aus, irgendeine.»
Allie schürzt die Lippen und sucht sich mit akribischer Genauigkeit eine Karte aus der Mitte des Stapels aus.
«Und jetzt steck sie zurück.»
Sie tut wie geheißen, und ich mische die Karten. Dreimal insgesamt. Dann teile ich den Stoß in zwei Hälften und ziehe eine Karte hervor.
«Ist
das
hier deine Karte?», frage ich theatralisch.
«JA!», schreit Allie begeistert und fängt beinahe an zu sabbern. «MACH DAS NOCHMAL!»
Und das tue ich auch. Ich mache es nochmal und nochmal und noch zweimal. Außerdem knote ich Luftballons zu kleinen Hündchen, ziehe weitere Münzen hinter Kinderohren hervor und hole sogar noch ein Set Clownschminke aus meiner Handtasche, mit der ich den Kleinen kreisrunde rote Backen und schwarze Clownsnasen male, bis die Sonne den Himmel von Westchester langsam rot zu färben beginnt.
Beim Abschied umschlingt Allie meine Beine und sagt mir, ich sei die beste Zauberin von allen Partys im ganzen Jahr gewesen. Bentley zieht mich in einer bärengleichen Umarmung an sich, so fest, dass ich den Duft seiner Cohibas einatme. Und sogar Vivian gelingt es, ihre eisige Fassade für mehr als eine Sekunde abzulegen.
«Vielen Dank, meine Liebe», sagt sie, zwar nicht besonderswarm, aber auch nicht kühl. «Das war ja wirklich was, heute.» Sie küsst mich auf beide Wangen, und die Familie in ihrem Rücken strahlt.
«Gern geschehen, Mrs. Turnhill.» Ich trete einen Schritt zurück, um ihr in die Augen zu sehen.
«Vivian, meine Liebe. Nennen Sie mich bitte Vivian.» Sie schenkt mir ein (beinahe) aufrichtiges Lächeln, zieht den Kaschmirpullover über die Hüfte hinunter, um nicht vorhandene Fältchen zu glätten, und zieht sich zurück ins Haus.
«Dürfen wir uns melden, wenn wir das nächste Mal in der Stadt sind?», fragt Leigh. Ihre Hände ruhen auf Allies Schultern. Die Kleine steht vor ihrer Mutter und sieht mit großen, hoffnungsvollen Augen zu mir, ihrer neuen Heldin, auf.
«Natürlich!», sage ich ehrlich überrascht und beuge mich vor, um Allie einen Abschiedskuss zu geben. «Das wäre das Glanzlicht meiner Woche.»
Jack legt mir den Arm um die Schultern und scheint völlig vergessen zu haben, dass er noch vor ein paar Stunden, als ich mit fünfzig Minuten Verspätung durch die Tür gestürmt kam, beleidigt und sauer auf mich war. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Hause.
***
«Ich wusste gar nicht, dass du zaubern kannst», sagt Jack, als wir wieder aus der Wanne steigen, wo er mir die Clownfarbe von den Fingern geschrubbt und die Grasreste von der Wiese aus den Haaren gezupft hat. Wir lümmelnauf unserer Tagesdecke herum, und er massiert mir die Füße.
«Es gibt wahrscheinlich so einiges, was du nicht über mich weißt.» Ich zucke die Achseln und grinse herausfordernd.
«Aber Zaubern! Ich meine, wirklich!» Er lacht. «Du hast tatsächlich den Tag gerettet.»
«Ja, das habe ich.» Ich lächle. «Und du bist besser vorsichtig: Ich bin so gut im Zaubern, dass ich dich verschwinden lassen kann.»
Und das ist nur die halbe Wahrheit
, denke ich.
«Aber bitte säge mich nicht entzwei», antwortet er, krabbelt zum Kopfende vom Bett und streicht mir übers Gesicht.
Natürlich wusste Jack nicht, dass ich zaubern kann, weil die Jillian, die er kannte, es nicht konnte. Die Jillian, die er kannte, hätte Kindern und ihren Heldentaten ferner nicht sein können, hauptsächlich, weil sie mich an meine eigene trübsinnige Kindheit und die Narben erinnerten, die ich davongetragen hatte.
Bis Katie kam. Sie war nicht geplant. Sie war nicht ungeplant. Sie war einfach. Ehe wir heirateten, sprachen Henry und ich nur in ungenauen Floskeln über Kinder. Er beschloss, dass wir beide welche wollten, und ich widersprach nicht. Ich wollte Kinder; ich hatte nur fürchterliche Angst, dass ich keine gute Mutter sein würde. Deshalb war für mich die einfachste Lösung, keine zu bekommen. Aber dann verliebte ich mich in Henry, ein Einzelkind. Er hatte den Großteil seines Lebens allein verbracht, wenn auch aus anderen Gründen als ich, und ich empfand es schlicht als Kompromiss, ihm
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