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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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gut.»
    «Nicht
gut
, meine Liebe», korrigierte sie mich. «Sie sindmagisch!» Vivian machte den Eindruck einer Frau, die selbst nur äußerst selten korrigiert wird. Sie nahm einen tiefen Schluck San Pellegrino und befingerte die Perlenkette an ihrem giraffengleichen Hals. Jack starrte währenddessen auf die Zinken seiner Gabel und versuchte, so zu tun, als wäre ihm seine Schriftstellerei genauso wichtig wie ihr.
    Während der Zug New York nun langsam hinter sich lässt, blättere ich durch die Juli-Ausgabe vom
Esquire
. Seine Artikel habe ich natürlich schon längst gelesen, aber dennoch fühlen sich die Texte in gedruckter Form irgendwie neu an.
    Der Zug zuckelt dahin und bringt mich irgendwann nach Rye, nur knapp zehn Kilometer von meinem Zuhause mit Henry und damit nur einen Katzensprung von meinem anderen Leben entfernt.
    Vor mir steigt an der Hand ihrer Mutter ein kleines Mädchen aus dem Zug. Sie trägt ein pfirsichfarbenes Rüschenkleid, dazu weiße Häkelsöckchen und schwarze Lackschuhe. Ihre Locken wippen beim Laufen. Ich beobachte, wie die beiden in abgestimmtem Rhythmus die Stufen am Bahnsteig hinuntergehen.
    Katie.
    Schnell schüttle ich die Sehnsucht, die in mir aufwallt, ab und bewege meine eigenen Füße vorwärts, dieselben Stufen hinunter.
    ***
    Als ich eine Stunde später auf dem Geburtstag erscheine, bekommt Allie, Jacks inzwischen sechs Jahre alte Nichteund Star der Party, gerade einen Wutanfall. Einen Wutanfall epischen Ausmaßes. Der Zauberer, den ihre Mutter engagiert hat, ist auf magische Weise nicht erschienen, und so läuft nun beigefarbener Schnodder Allies Kinn hinunter. Hemmungslos rinnen die Tränen, und ihre klebrigen Fäuste boxen zornig durch die Luft. Die anderen Eltern stehen ums Schwimmbecken geschart und heucheln Mitgefühl, während Jacks vier Jahre ältere Schwester Leigh versucht, den Frieden wiederherzustellen.
    Ich beobachte die Szene von der Schiebetür aus, die auf die Terrasse führt. Alles ist hier noch so, wie ich es in Erinnerung habe. Jack und seine Mutter stehen an der Bar «für die Großen», und Bentley, Jacks Vater, labt sich an einem, wie ich vermute, sehr, sehr kräftigen Martini. Wahrscheinlich wünscht er sich gerade sehnlichst auf den Golfplatz, wo er so gut wie jeden Samstag verbringt. Ich grinse, weil ich mir nur zu gut vorstellen kann, wie er tagelang nach einem Ausweg suchte; das tat er immer.
    Meistens konnte ich ihm das nicht übelnehmen. Wenn er irgendwann vom Tisch aufsprang, einen Notfall im Büro oder eine Krise in einem seiner Werke vortäuschte, fing er häufig meinen mitfühlenden Blick auf und zwinkerte mir zu. Zwischen Bentley und mir bestand ein stummes Einverständnis, aber er hatte in dreiundvierzig Ehejahren nie wirklich die Oberhand gewonnen.
    Der Bartender schenkt Bentley nach, und Allie heult immer noch.
    Es wird Zeit, einzugreifen. Ich habe diesen Wutanfall schon einmal erlebt, aber heute bin ich darauf vorbereitet – und zwar inklusive der erforderlichen Requisiten.
    Ich schiebe die Tür zum Garten komplett auf, hinterlassedabei feuchte Handabdrücke auf dem Glas und trete nach draußen.
    «Allie!», rufe ich und laufe mit langen Schritten auf sie zu. «Weißt du was?»
    «Waaaaaas?», jault sie.
    «Du brauchst diesen miesen Zauberer überhaupt nicht! Weil ich nämlich zufällig in eine Zauberschule gegangen bin. Ich könnte dir ein paar Tricks zeigen.» Ich hebe wissend die Augenbrauen, und Allie hört so plötzlich auf zu jammern, dass sich alle umdrehen und uns anstarren.
    «Das glaube ich dir nicht!», sagt sie mit trotzigem Zweifel.
    «Gut, dann glaub mir nicht. Ich kann meine Zaubertricks ja auch drinnen aufführen.» Ich wende mich zum Gehen und bemerke, wie Jack und seine Eltern auf die Terrasse getreten sind und mich neugierig ansehen. In Vivians Blick liegt weniger Spott als üblich, und das ist ja schon mal was.
    «WARTE!», schreit Allie. «Ich will Zaubertricks sehen!» Sie verschränkt motzig die Arme. «Beweise, dass du zaubern kannst!»
    «Na ja, aber ehe ich anfange, müssen wir noch eine Sache erledigen. Ich glaube nämlich, du hast da was in deinem Bauchnabel stecken.»
    «Stimmt doch gar nicht!»
    «Stimmt wohl!» Ich fasse ihr ans T-Shirt und schiebe meine Hand darunter. «Aha, sag ich doch.»
    Ich ziehe einen glänzenden Silberdollar hervor, und Allie quietscht vor Vergnügen. Im Nu ist die ganze Horde Erstklässler um uns versammelt, und ich drehe mich zu einem flachsblonden Jungen mit frischer

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