Gestern fängt das Leben an
vor Lachen beinahe unsere Getränke verschütten. Als sie sich schließlich wieder im Griff hat und sich die Lachtränen wegwischt, sagt Josie: «So ein Scheißopernnotfall! Ist das zu fassen?» Sie nimmt einen Schluck Cola Rum und wischt mit einem tiefen Seufzer sämtliche Überbleibsel von Albernheit beiseite. «Tja, das vorhin war also Bart. Der mich an so vieles erinnert, und dann …» Sie zögert kurz. «Dann wäre da noch Art …»
«Getrennt einzig durch ein winziges B», springe ich in dem Versuch bei, eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel zu bringen.
«Wenn es nur das wäre!», entgegnet sie niedergeschlagen und mustert die Menge, in der Hoffnung, Bart irgendwo zu entdecken. «Und wie steht es mit dir und Jack? Schon eine Verlobung in Sicht?»
Nein,
denke ich und erinnere mich dann, dass diese Zukunft ja noch ungeschrieben ist.
«Vielleicht», sage ich stattdessen. «Wir werden sehen. Ich glaube, das liegt bei ihm.»
«Wieso sagst du das?» Irritiert dreht Josie sich zu mir um. «Das liegt doch bei euch beiden!»
Eigentlich nicht,
würde ich gerne rufen.
Das letzte Mal habe ich zwei beschissene Jahre lang darauf gewartet, und es kam nichts, immer nur der gleiche Jack, der fröhlich und unbeschwert auf Reiseflughöhe dahinsegelte. Kein Ring, kei
ne
versteckten Hinweise, kein Kniefall. Nichts. Und als mir endlich klarwurde, dass wir eigentlich nur Wasser traten,
anstatt irgendwohin zu schwimmen, machte ich mich aus dem Staub. Ich verließ ihn, ehe er mich verlassen konnte, weil es keinen Grund zu der Annahme gab, dass er irgendwann doch noch auf irgendein Ziel zuschwimmen würde.
Aber heute Abend zucke ich nur die Achseln. «Ich wollte damit nur sagen, dass es bei ihm liegt, mir einen Antrag zu machen.»
Josie imitiert meine Geste und dreht sich dann wieder zur Seite, um einen besseren Blick auf die Bar zu erhaschen. Ich sehe mich ebenfalls um, nach einem vertrauten Gesicht.
Und dann entdecke ich eines.
Henry.
Unsere Blicke treffen sich, und er bewegt sich auf mich zu, pflügt sich einen Pfad durch das Dickicht der Partygäste, kommt direkt auf mich zu.
Wie konnte ich jemals glauben, ich wäre in der Lage, den Aufprall der Zeit zu verhindern?
***
Meine Füße sind wie Blei. Ich will mich bewegen. Ich will meine Beine bewegen, sie heben und fliehen, aber ich kann nicht.
Er kommt näher, und ich gerate in Panik.
Ich bin noch nicht bereit! Ich bin hier, um mein süßes Leben mit Jack zu genießen!
Ich spüre heiß den Ausschlag, der sich plötzlich um meinen Hals schlingt, das Schlüsselbein hinunterkriecht wie ein Jack-Pollock-Gemälde und dort auf das unerbittlich klare Silber meines schulterfreien Kleides prallt.
Henry bewegt sich wie in Zeitlupe. Ich sehe, wie ihmeine dunkelblonde Strähne in die Stirn fällt und er langsam danach fasst, um sie sich aus den Augen zu streichen. Später werde ich entdecken, dass er sich damit verrät: Es ist sein untrügliches Zeichen dafür, dass er nervös ist oder blufft oder gelegentlich auch lügt. Nicht, dass ich ihn oft beim Lügen ertappt hätte, aber manchmal habe ich ihn eben doch erwischt. Manchmal musste er angeblich länger im Büro bleiben, war aber in Wirklichkeit in unserem Club beim Golfen. (Ich erfuhr das zwei Tage später, als Ainsley und ich mit den Kindern beim Babyschwimmen waren und der Mann am Empfang es ganz nebenbei erwähnte.) Oder das Rubinarmband, das er mir in einem Restaurant bei Merlot und Kerzenschein zum Jahrestag überreichte: Angeblich hatte er es selbst ausgesucht. Irgendwann fragte mich dann seine Sekretärin, wie mir das Geschenk gefallen hätte, das
Henry
ausgesucht hatte. Zwinker, zwinker. Blinzel, blinzel. Mit besonderer Betonung auf «Henry», damit ich den Wink mit dem Zaunpfahl auch ja verstand.
O Gott! Jetzt ist er fast direkt vor mir und nestelt erneut an seinen Haaren rum. Endlich bekommt mein Hirn Verbindung zu den Beinen. Ich wende mich schwungvoll ab, um zu gehen, aber ich kann nirgendwo hin. Um mich herum verstellen mir plaudernde Grüppchen den Weg, und der einzige Ausweg öffnet sich ausgerechnet in der Richtung, aus der Henry kommt.
Hilfesuchend drehe ich mich zu Josie um, aber sie ist in Gedanken versunken, nippt an ihrer Rum-Cola und träumt von ihrer Jugend, während sie den Raum weiter nach Bart absucht.
Viel zu schnell steht Henry schließlich vor mir.
«Sie sind doch die Frau aus dem Bus, oder nicht?», fragter und streckt mir genau in dem Moment die freie Hand entgegen, als die Band
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