Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen
Wunsch, mehr zu fühlen, mehr zu behalten von dieser komischen, seltenen Zeit mit Svana, die Erinnerung fühlbarer zu machen. Vielleicht ist es dumm, aber es ist auch nett und herzlich und echt. Und Svana findet das auch und drückt zurück, nur doller als ich und sie lacht und wittert schon wieder den Wettbewerb, den sie gewinnen wird. Svana drückt mit ihrer Schwimmermuskulatur, bis ich prusten muss und lachen und »Aufhörn« schreie, weil sie mich sonst zerquetscht. Und sie hört auf und ich taumele zurück und laufe schon mal ein paar Schritte vor, dann rufe ich »Fettes Monster!« und renne los mit meinen Krüppelschritten und rufe noch mal: »Fang mich, ich lass mich kriegen von dir.«
»Wann sehen wir uns das nächste Mal?«, fragt Svana.
Ich lache.
»Was denkst du?«, frage ich.
»Wollen wir uns für nächstes Jahr zum Arbeiten verabreden?«, fragt sie und wuchtet sich den Rucksack auf den
Rücken. Wir stehen am Bahnhof, der Zug schon vor uns. Sie hat die Flasche mit dem Wasser für die Fahrt schon ausgetrunken. Zum Abschied hat sie mir ihr Fahrrad geschenkt, ein schweres, klappriges Hollandrad. Der Zug startet den Motor, die Sonne scheint, am Himmel graue Wolkenfetzen, dünn und durchsichtig.
»Ja, aber nicht hier«, sage ich, »probiern wirs nächstes Mal woanders.«
Svana boxt mir auf die Schulter, sagt: »Ja, war so mittel hier.« Sie überlegt und sieht durch mich hindurch. »Nächstes Jahr«, brüllt sie, weil der Zug auf einmal so laut ist, »ernten wir Wein in Frankreich!«
»Tschüss«, sag ich und der Schaffner pfeift.
»Trainier mal bisschen«, sagt sie, »hast ganz schön abgelost, diesmal.«
Die Tür geht zu, der Zug fährt an. Ich setze mich auf eine Bank und warte, dass es dunkel wird.
Herbstanfang ist auf der nördlichen Erdhalbkugel der Zeitpunkt, an dem die Sonne den Himmelsäquator von Norden nach Süden überschreitet. Dann sind an jedem Ort der Erde Tag und Nacht gleich lang. »Klugscheißer«, würde Svana sagen oder vielleicht: »Papperlapapp, Herbst ist, wenn es sich wie Herbst anfühlt.« Und ich würde nicken und mir vorkommen wie ein komischer Vogel, obwohl ich natürlich recht habe, genau genommen viel mehr als sie.
Der Wind wird stärker, der Bahnhof leert sich. Es fängt an zu regnen, die Tropfen trommeln auf das alte Blechdach. Ich bleibe noch ein bisschen sitzen und warte ab, was ich nun für ein Gefühl bekomme, wo sie plötzlich weg ist.
Wie schön schlechtes Wetter ist, weiß man immer erst im Herbst. Schönes Wetter ist schön. Und schlechtes Wetter ist auch schön. Man muss nur die richtigen Dinge tun. Herbst kapiert einfach nicht jeder.
Samstags
»Dixi!«, kommt von beiden Seiten stereo. Sie lachen. »Du bist dran!« Bier holen, meinen die beiden. Sind schon randvoll. Die meinen es ernst. Dixi. Soll mein neuer Spitzname sein, haben sie vorhin gemeinsam beschlossen. Finden sie witzig. Ich mach mich auf den Weg. Ich bin wirklich dran.
Hätt ich ihnen nicht erzählen sollen vorhin, hätt ich wenigstens noch mit warten sollen bis morgen, bis nach den Kopfschmerzen. Ich hab auch mal studiert, Geschichte und Sport auf Lehramt, hab aber gleich wieder aufgehört, dann hab ich doch wieder angefangen, Technische Informatik, aber auch nur ein Semester. Dann nichts und jetzt als Bauhelfer, Jahre schon. Das ist ein guter Job, einfach und klar, schwer und schön. Nur die scheiß Dixis, die gehen gar nicht. Im Sommer die Hitze, die Fliegen, der klebrige Boden, der Gestank, Ammoniak, dass einem die Tränen kommen. Im Winter eiskalt, es zieht durch die Ritzen. Überall Schamhaare und Popel an den Wänden, so kann man doch nicht scheißen. Die Brandlöcher im Plastik, die Kritzeleien, Stift hab keine Bange, der Meister scheißt genauso lange . Inzwischen träume ich davon. Vom Scheißen in der Plastikhütte.
Und das hätt ich nicht erzählen dürfen. Nicht samstags und nicht vorm Fußball. Sind fast umgefallen vor Lachen. Dixi hier, Dixi da, hahaha. Ich kauf drei Bier in Plastikbechern und steh gar nicht lange an dafür. Gleich geht das Spiel los. Wir stehen bei den Ultras. Die wollen heut auf Beutezug, haben wir gehört, die Frankfurter Zaunfahne klauen. Wir wollen nicht klauen, wir wollen hauen: Dixi, Bonobo und Herr Kappelmann. Wir sind keine Ultras. Wir sind Hools.
Ich bin eigentlich anders als Bonobo und Kappelmann, die sind Edelhools mit Armani-Anzug, Lacoste und Carlo Colucci. Mein Heiligtum ist mein Cap, ne echte Burberry, ne Ikone, legendär,
Weitere Kostenlose Bücher