Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen

Titel: Gestern war auch schon ein Tag - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mairisch
Vom Netzwerk:
und brüllen was wir können und schubsen die Leute, ich tret den Vater von dem kleinen Jungen vor mir, der fällt eine Reihe nach vorn, in eine Gruppe Studenten, von denen hauts auch noch einen um, Domino-Day. Der Junge glotzt mich an, hat Schiss und ne Brille, kein Primat. »Guck weg, du Honk«, sage ich. Null eins hinten, Scheiße natürlich, aber immerhin Leben in der Bude. Plötzlich ist Kappelmann wieder da und schreit genau in mein Ohr: »Was spielt der Reinhart überhaupt, dem sollten sie den Gnadenschuss geben, dem Krüppel, welcher Idiot stellt den auf?« Jetzt fiept mein linkes Ohr und mein rechtes ist ein bisschen schwanger.
     
    Trainer wechselt einen Amateur ein, den ich nicht kenne, nie gehört, aber der ist schwarz und wir haben Hoffnung, das sind ja manchmal echte Wunderneger, Rohdiamanten. Vielleicht haben wir ja auch mal Glück im Kolonialfußballlotto. Siebzigste Minute oder so, also fängt Kappelmann langsam an, sich einen rauszusuchen. Bonobo hat sich wieder gefangen oder tut so und hält uns die Pillen hin, wir nehmen sie und wissen, wie die uns gleich abschießen werden: »Gleich klatschen, Dixi.«
    Und Kappelmann brüllt: »Oi, Oi, Oi«, wie ein Idiot, »Oi, Oi, Oi.«
    Er ist schon wieder in Schlachtruflaune. Das ist immer so ab der Siebzigsten. Ich hab die Regeln nicht gemacht. Kappelmann stupst zwei Reihen vor uns einen an, fast zärtlich, der hat schwarze kurze Haare, athletischer Typ, garantiert Russe. Fair Play, denke ich. Kappelmann guckt ihn lange an und der Russe ihn. Dann sagt Kappelmann: »Ey, deine Mutter kenn ich, die steht doch immer vorm Bahnhof und lässt sich für zehn Cent anpissen.«
    Charmant, dieser Kappelmann. Der Russe dreht sich um, hat wohl keinen Bock, sich zu hauen. »Die bellt, wenns klingelt«, schreit Kappelmann, aber der Russe glotzt stur Richtung Spielfeld, dann schreit er was. Gibt nämlich Elfmeter für Frankfurt, ich hab nicht gesehen warum, aber Kappelmann nutzt die Unruhe und das Geschrei, um dem Russen eine an den Kopf zu geben, der geht ihm blitzschnell an die Gurgel und das macht Kappelmann an, das seh ich in seinen Augen, wie in ihm plötzlich alle zivilisatorischen Lichter ausgehen. Der ist schon richtig drauf, total nervös und viel zu schnell in seinen Bewegungen. Er schlägt ihm den Arm weg und schreit oder lacht, es ist ein merkwürdiges Geräusch und sein Kiefer ist ganz verkantet, am Hals ist jede Sehne, jede Ader ganz genau zu sehen.
    »Ich mach dich kaputt, gleich nach dem Spiel mach ich dich kaputt«, grunzt Kappelmann eher zu sich als zum Russen, der sich einfach wieder umgedreht hat und paar Schritte rüber zum Zaun ist. Kappelmann kann sich grad noch halten, damit es keinen Ärger mit den Ordnern gibt. Eine Anzeige wär scheiße für den Anwalt.
     
    Zwei zu null für die bekloppten Frankfurter. Mir total egal. Kappelmann nimmt sich mein Plastikbier und trinkt es aus, er zittert wie kurz vorm Abspritzen, der ist auf hundertachtzig und geil. Es ist Samstag. Neunzig Minuten rum, vier Minuten Nachspielzeit. Wir gehen schon zum Ausgang und warten auf den Russen. Im Losgehen tritt Kappelmann ihm über die Sitzreihen hinweg schon mal in den Rücken, schreit »Kinderficker« und zeigt ihm die Zähne. Der Russe guckt fies, plustert bisschen, aber mehr traut er sich nicht, das sieht man schon, dass er weiß, was gleich passiert, da leuchtet schon die Angst im Blick, das seh ich jeden Samstag, da hab ich ein Auge für. Hält sich aufrecht, der Russe, aber gleich wird er zerlegt.
     
    Abpfiff, Randale, Gegröle, ich merke, wie ich zappelig werde, alles wie vorgespult, viel schneller, samstags nach Abpfiff, da heulen Frauen und Fans, tut alles weniger weh, fliegen Flaschen, treffen Fäuste, brechen Knochen. »Dixi«, schreit Bonobo und zieht mich zu sich, »da drüben isser.« Kappelmann hat ihn im Blick, jetzt folgen wir dem Russen. Scheiße, denk ich, der hat ja die Freundin dabei. Das ist schlecht. Wenn du auf Zerstören bist, im Kriegsmodus, stört nichts so wie eine Frau, die schreit und weint und Sorgen hat. Du bist so in dir, du denkst nichts, du suchst die Lücke und wenn du treffen kannst, dann triffst du, Faust auf den Schädel, zwei Schläge die Sekunde, kinetische Meditation, sagt Kappelmann. Eine Frau ist die andere Welt, die kein Mensch will am Samstag.
     
    Später stehen wir vor dem Gebüsch und halten die Russenfreundin fest, damit sie sich nicht einmischt, damit Kappelmann sie nicht aus Versehen kaputt macht, wenn sie dazwischengeht.

Weitere Kostenlose Bücher