Gestohlene Wahrheit
nicht die Brünette, die, von seinem Mangel an Interesse entmutigt, ihren Gin Tonic und ihren sehr hübschen Hintern –
Großer Gott! Er ist herzförmig!
– in den nächsten Raum bewegt hatte.
Beinahe hätte er ob der verschenkten Gelegenheit aufgestöhnt, aber er nahm ihre Verfolgung nicht auf, obwohl seine immer begierige Libido ihn dazu aufforderte.
Denn ob es ihm nun gefiel oder nicht – und es gefiel ihm ganz und gar nicht –, er war offenbar mitten im Zentrum von etwas gelandet, das sich zu einer Katastrophe biblischen Ausmaßes entwickeln konnte.
Und er würde das tun, was er am besten konnte.
Beobachten. Und warten.
Dann richtete auf einmal der ehemalige Sergeant Nathan Weller den Blick aus seinen kalten schwarzen Augen auf ihn, und Dagan warf seinen gesamten Plan für diesen Abend über den Haufen.
Seine CIA-Kontakte hatten ihm die Militärakten der Angestellten von Black Knights Inc. übermitteln können, und trotz der ganzen Schwärzungen, die etwa fünfzig Prozent des Dokuments unlesbar machten, las sich das verdammte Ding noch immer wie eine Lobpreisung der großen amerikanischen Helden.
Mist! Es kam nur selten vor, dass ein Ex-Agent ernsthaft verunsichert war.
Aber jetzt war ihm eines klar. Er hatte sein ganzes Leben Risiken abgewogen und die Chancen berechnet, und in diesem Moment, als er Ghost direkt in die Augen sah, vermutete er, dass alles gegen ihn sprach.
Wie jeder kluge Mann wusste Dagan Zoelner, wann er etwas als Verlust verbuchen und lieber verschwinden sollte.
7
»Wenn ich mich nicht irre, dann stehen Ali und Ghost aufeinander«, flüsterte Ozzie Nate ins Ohr, nachdem Delilah wieder hinter ihre Bar zurückgekehrt war. Nate warf rasch einen unauffälligen Blick zu dem Tisch hinüber, an dem die Ladys saßen.
»Möchtest du sterben?«, fragte er den Jungen voller Ernst, auch wenn er Ozzie nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit schenkte, weil Buzzard, der Arsch, gerade über den Tisch nach Alis Hand griff.
»Du stehst auf sie«, ließ Ozzie nicht locker. »Ich hab doch recht, oder? Du magst sie?« Er wartete nicht auf Nates Antwort, sondern verkündete den anderen mit fröhlicher Stimme: »Nate ›Ghost‹ Weller, auch bekannt als Mr Emotionslos, hat Gefühle.«
Großer Gott.
Was war denn nur heute mit allen los? Erst Delilah und jetzt Ozzie. Hatte er etwa ein leuchtendes Neonschild auf der Stirn?
»Halt dich lieber von mir fern«, riet er Ozzie und warf einen weiteren schnellen Blick zu dem Tisch hinüber. Jetzt hatte sich Buzzard, dieser Wichser, schon halb über den Tisch gelehnt und flüsterte Ali etwas ins Ohr, und die Frau war verrückt genug, über das zu lachen, was ihr dieser widerliche alte Penner erzählte.
»Aber, Mann, das ist so süß, so romant…«
Nate packte den Arm des Jungen nicht allzu sanft und zerrte ihn in die Ecke hinter die Jukebox. Boss warf ihnen einen irritierten Blick zu, setzte aber seine Unterhaltung mit Dan fort.
»…isch«, beendete Ozzie seinen Satz und rieb sich den Oberarm an der Stelle, an der ihn Nate festgehalten hatte. »Geh damit vorsichtig um, Mann. Die Ladys lieben meine Muckis.« Der Junge spannte seinen Bizeps an und senkte den Kopf, um seine Muskeln zu küssen.
»Ich weiß nicht, was du dir da einbildest«, knurrte Nate, »aber zwischen mir und Ali läuft nichts. Sie ist nur die kleine Schwester meines besten Freundes. Ende der Geschichte.«
Er wünschte sich wirklich, dass das tatsächlich alles wäre.
»Aber sie klingt so glücklich und unbeschwert«, sagte Ozzie und rief ihm damit die eher unangenehme Situation vom Nachmittag wieder ins Gedächtnis. War Ozzie …? Ja, er besaß tatsächlich die Unverfrorenheit, mit den Wimpern zu klimpern und ihn mit aufgerissenen Augen anzustarren.
Er wollte tatsächlich sterben. Das war jetzt sonnenklar.
Nate starrte Ozzie an und hoffte, dass er begriff, wie kurz er davor war, eine ordentliche Abreibung zu bekommen.
Aber er verstand es nicht.
»Ich finde, du solltest mal mit ihr ausgehen«, erklärte Ozzie und zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
»Mir ist scheißegal, was ich deiner Meinung nach tun sollte …«
Er sprach nicht weiter, weil auf einmal alle Haare in seinem Nacken zu Berge standen. Vorsichtig stellte er sein Bier auf die Jukebox und sah sich um.
Da. In der hintersten Ecke. Als er sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatte, wurde sein Blick von kalten, grauen Augen erwidert.
Oh, oh. Er erlebte einen Augenblick des … Nein, ein Wiedererkennen war es nicht, weil er
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