Gestohlene Wahrheit
Reaktion darauf grinste. »Danke«, sagte er zu ihr, »aber ich möchte im Moment nichts.«
»Okay, Süßer«, säuselte sie und legte ihm eine dürre Hand mit langen, pinkfarbenen Nägeln aus Fiberglas auf die Schulter. »Aber wenn du deine Meinung änderst, mein Name ist Shirley. Ruf mich einfach.«
»Das mache ich.« Dagan zwinkerte ihr zu, und sie kicherte wie eine halb so alte Frau, bevor sie sich umdrehte und einer Gruppe ausgelassener Collegekids im hinteren Teil der Bar ihre Getränke brachte.
Dagan trank einen Schluck und sah zu dem Tisch hinüber, an dem Alisa Morgan saß.
Er hatte Aldus davon überzeugt, ihn die Sache regeln zu lassen. Der Senator wollte, dass er sie entführte, er hingegen hatte vor, die Frau zu
ver
führen. Er glaubte, dass er sie ganz unauffällig nach den verschwundenen Dateien fragen konnte, wenn sie im Bett zur Sache gingen. Seiner Erfahrung nach konnte derartiges Bettgeflüster sehr effektiv sein. Aber sie war einfach so verdammt …
süß
, und sie hatte in den letzten drei Monaten keinen Mann in ihrem Leben gehabt, was auch bewies, dass sie nicht der Typ Frau war, der bei der erstbesten Gelegenheit mit einem gut aussehenden Fremden ins Bett hüpfte. Selbst falls er sie irgendwie verführen konnte – okay, er wusste, dass er das konnte –, stellte sich die Frage, ob er es überhaupt wollte. Konnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren?
Nein. Ganz gewiss nicht.
Er hatte seine Taktik geändert und war gerade dabei gewesen, sich etwas auszudenken, um ihr beiläufig zu begegnen, sich mit ihr anzufreunden, und dann … dann war sie überfallen worden.
Eigentlich war er sich ziemlich sicher, dass Aldus hinter dem Überfall auf Alisa Morgan steckte, auch wenn ihm der Senator beteuert hatte, dass er nichts damit zu tun hätte. Das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er war überzeugt davon, dass Ms Morgan eine unschuldige Schachfigur war, die nur zufällig in diesen … Schlamassel hineingeraten war, ob sie die Dateien nun tatsächlich hatte oder nicht.
Es hatte ihn nicht überrascht, dass sie nach dem Überfall abgehauen war, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sie zum früheren Arbeitsplatz ihres toten Bruders gefahren war. Wo konnte sich eine Frau schon sicherer fühlen als in der Gegenwart von Männern, die früher in diversen Spezialeinheiten gewesen waren?
Oh, er wusste alles über Grigg Morgan, seine Freunde und ihre Motorradwerkstatt. Zumindest hatte er das geglaubt …
Doch ein Blick auf die Pläne des Geländes, auf dem sich Black Knights Inc. befand, hatte ihn davon überzeugt, dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie da taten.
Früher an diesem Nachmittag hatte Dagan versucht, seinen Kontaktmann innerhalb der CIA zu erreichen – zum Glück hatte er selbst nach diesem schrecklichen kleinen Zwischenfall im Irak noch einen – und an Informationen zu kommen, nur um letzten Endes mit leeren Händen dazustehen. Was ihn überaus verwunderte, schließlich sollte die CIA doch einfach
alles
wissen.
Offensichtlich wusste sie aber absolut nichts über die Typen bei Black Knights Inc. Laut seinem Informanten waren die Knights genau das, wofür sie sich ausgaben: eine Gruppe von ehemaligen Militärs, die ihre Messer und Kanonen gegen Schraubenschlüssel und Schleifmaschinen eingetauscht hatten.
Ähm, nein.
Diese ganze Motorradgeschichte war nur ihre Tarnung. Jeder mit ein wenig militärischer Ausbildung konnte erkennen, dass diese Typen irgendwie mit der Regierung in Verbindung standen.
Was wiederum bedeutete, dass Grigg Morgan irgendwie mit der Regierung zu tun gehabt hatte. Das ließ allerdings Senator Aldus’ Behauptung, Morgan wäre es leid gewesen, von seinem armseligen Gehalt leben zu müssen, hätte daher die Fähigkeiten, die er im Dienst für Uncle Sam erlernt hatte, eingesetzt und einige streng geheime und potenziell gefährliche Regierungsdokumente gestohlen, als ziemlich unglaubwürdig erscheinen. Laut Aldus hatte Morgan vorgehabt, diese Dokumente auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.
Aber klar doch. Und Dagan war die liebe Zahnfee.
So langsam vermutete er, dass der gute Senator eine Menge Dreck am Stecken hatte. Daher wäre es vermutlich das Intelligenteste, diesen immer seltsamer werdenden Auftrag abzubrechen, zurück nach DC zu gehen und zu vergessen, dass er den Namen Senator Alan Aldus jemals gehört hatte.
Doch irgendetwas hielt ihn auf seinem Stuhl am Ecktisch, tief in den schummrigen Schatten des
Red Delilah’s
verborgen, fest. Und das war
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