Gestohlene Wahrheit
war die junge Mutter, die ihr Kleinkind auf der Hüfte trug. Sie sah ihn mit einem unverhohlen besorgten Blick an, während sie zur Toilette eilte.
Das war nicht gut. Sie konnte ihn wiedererkennen. Aufgrund seiner Position war sein Gesicht häufiger im Fernsehen zu sehen.
Okay, okay. Reiß dich zusammen, Aldus.
Er holte einige Male tief Luft und bekam sich wieder unter Kontrolle.
Das war nicht das Ende der Welt. Er hatte noch eine andere Option.
Eine Option, die er eigentlich nicht nutzen wollte, aber jetzt blieb ihm keine andere Wahl. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Also traf er wie immer ungeachtet seiner eigenen Gefühle eine schwere Entscheidung.
Dann sah er die Plastikteile in seiner Hand und auf den grauen Nadelstreifen seiner Anzughose und verfluchte sich für seinen Temperamentsausbruch.
Er brauchte dieses gottverdammte Handy.
Sein eigenes konnte er in dieser ganz besonderen Situation nicht benutzen, denn der Anruf, den er machen musste, durfte nie zu ihm zurückverfolgt werden.
Endlich war sie eingeschlafen.
Alis schlanke, in Leder gekleidete Oberschenkel drückten sich sanft von außen gegen Nates Beine, und sie lehnte an seinem Rücken, sodass er bei jedem Atemzug spüren konnte, wie sich ihre Brust hob und senkte.
Die ersten drei Stunden ihrer Reise hatte sie stets darauf geachtet, einige Zentimeter Platz zwischen ihren Körpern zu lassen und die Knie weit abzuwinkeln.
Wir wollen doch jetzt nicht zu persönlich werden, oder?
Vermutlich wollte sie ihn nur dort berühren, wo es
unbedingt
notwendig war.
Mann, er war die Sache letzte Nacht völlig falsch angegangen und hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes aus seinem Schlafzimmer geworfen, als er es nicht mehr ertragen konnte, dass sie ihn mit diesem süßen Mitgefühl und dieser verzweifelten Sehnsucht angesehen hatte. Daher konnte er auch nur sich allein die Schuld an ihrem verletzten Gesichtsausdruck an diesem Morgen geben, ebenso wie an den dunklen Ringen unter ihren Augen.
Jemand sollte ihm mal gehörig in den Arsch treten.
Als er in den Seitenspiegel sah und erneut diesen silbernen Escalade ein Stück hinter ihnen entdeckte, hatte er dummerweise das Gefühl, dass das auch ziemlich bald geschehen konnte.
Er vermutete, dass das Alis geheimnisvoller Mann war, der ihnen da auf den Fersen war. Offensichtlich hatte ihr Verwirrspiel nicht funktioniert. Dann blieben ihnen nur noch zwei Optionen.
Nummer eins: Da der geheimnisvolle Mann Ali seit Monaten überwacht hatte, wusste er, wo sie wohnte und arbeitete, und er konnte anhand ihrer momentanen Fahrtrichtung davon ausgehen, dass sie zurück nach Jacksonville fuhren. Was brachte es also noch, ihn abzuschütteln?
Oder … Nate entschied sich für Möglichkeit zwei und wurde den Mistkerl los.
Da er es nicht sehr verlockend fand, die nächsten sechshundert Meilen einen Unbekannten hinter sich zu haben, war eigentlich klar, welchen Weg er einschlagen würde.
»Wach auf, Ali«, sagte er in sein Helmmikrofon. Er hasste es, das tun zu müssen. Es war schon anstrengend genug, auf einem Motorrad mitzufahren, wenn man nicht daran gewöhnt war, und sie konnte den Schlaf wirklich gut gebrauchen. Trotzdem musste er es tun.
»Uh.« Er spürte, wie sie sich hinter ihm bewegte. »W… was ist?«
Selbst durch das blechern klingende Kommunikationssystem konnte er hören, dass ihre müde Stimme heiser klang, woraufhin sich sein Magen zusammenzog.
»Du musst aufwachen, Süße.« Scheiße. Das kleine Kosewort war ihm einfach so rausgerutscht. Bei sich nannte er sie immer so, da sie der süßeste Mensch war, den er je gekannt hatte, doch er hatte es noch nie gewagt, es ihr ins Gesicht zu sagen. Er tröstete sich mit der Tatsache, dass er es eigentlich auch jetzt nicht getan hatte, da sie schließlich hinter ihm saß. »Du musst dich jetzt richtig festhalten.«
Ihr Körper versteifte sich hinter ihm, und sie spreizte die Beine noch etwas weiter.
Ja, jetzt war sie wieder hellwach.
»Was? Warum?«, fragte sie.
»Wir haben Gesellschaft, und ich muss ein paar Flucht- und Ausweichtaktiken einsetzen. Es könnte für ein paar Minuten ziemlich haarig werden.«
»Was für Gesellschaft?« Sie legte die Arme enger um seine Taille und drückte die Oberschenkel dicht an seine Beine.
Hey, warum nicht gleich so?
Hätte er geahnt, dass es so einfach war, sie zu einer vernünftigen Haltung zu bewegen, dann hätte er diesen Trumpf schon viel früher ausgespielt.
»Dreimal darfst du raten«, erwiderte er
Weitere Kostenlose Bücher