Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Mamma Carlotta weiszumachen, dass sie rein zufällig in dieser Gegend war und ihr ganz spontan der Gedanke gekommen war, dem Schriftsteller einen Besuch abzustatten. »In den ersten Jahren seiner Sylt-Aufenthalte hat er ja immer bei uns gewohnt. Dann wurde er derart erfolgreich, dass er sich dieses Haus leisten konnte.« Sie lachte schrill. »Er hat ja zwei linke Hände, er kommt allein nicht klar.«
»Zurzeit hat er sogar nur eine Hand«, sagte Mamma Carlotta und schämte sich kein bisschen für die Häme, die sie empfand.
Valerie war derart nervös, dass sie die Boshaftigkeit nicht einmal bemerkte. »Eben!«, rief sie erleichtert, als wäre mit Mamma Carlottas Worten bestätigt, dass ihr Auftauchen vor Gero Fürsts Haus völlig unbedenklich sei. »Man muss ihm einfach helfen.«
»Wie schön, dass Sie ein so gutes Herz haben.«
Und wieder bemerkte Valerie nichts von Carlottas Garstigkeit, sondern lachte ihr erleichtert hinterher. Ob sie wirklich nicht wusste, wie vertraut es wirkte, als sie über das Gartentor langte und den innen liegenden Riegel zur Seite schob?
Carolin, die Valeries Anwesenheit arglos zur Kenntnis genommen hatte, schwang sich aufs Fahrrad und radelte los. Mamma Carlotta dagegen hielt sich noch ein wenig mit ihrem Schloss auf, ließ es auf- und zuschnappen und tat so, als hätte sie Schwierigkeiten, es zu öffnen.
Während sie scheinheilig herumhantierte, beobachtete sie, wie Gero Fürst die Tür öffnete – und sie wieder zuschlagen wollte, als er erkannte, wer davor stand.
Aber Valerie versuchte, sich ins Haus zu drängen. »Ich muss mit dir reden.«
»Es gibt nichts mehr zu reden«, gab Gero Fürst zurück.
»Aber Gero! Das kannst du doch nicht machen!«
Der winzige Augenblick, in dem Valeries Kraft nachließ, in dem sie sich aufs Bitten verlegen wollte, reichte aus. Gero Fürst warf die Tür ins Schloss, ehe Valerie es verhindern konnte. Sie blieb auf seinem Fußabtreter stehen, hob die Hände, als wollte sie an der Tür trommeln, beließ es dann aber dabei, sie zu Fäusten zu ballen. Und Mamma Carlotta stieg aufs Fahrrad und radelte Carolin hinterher, um nicht Zeuge von Valeries Verzweiflung zu werden.
Auf dem Heimweg kam ihnen Carolins Klassenkameradin entgegen, und Carolin erfasste in Sekundenschnelle, warum Corinna, die genauso wie sie für Gero Fürst schwärmte, den Bröns Wai entlangradelte: Sie war das Mädchen, das sich bei ihm als Schreibkraft beworben hatte.
Carolin stieg in die Bremsen und rief Corinna zu: »Der Job ist vergeben, du brauchst gar nicht mehr hinzufahren!« Corinna tat so, als wüsste sie nicht, wovon Carolin redete, aber schließlich musste sie einräumen, dass sie auf dem Weg zu Gero Fürst war.
»Du bist ja so was von mies«, schleuderte Carolin ihr entgegen. »Mir nichts davon zu erzählen, dass Gero Fürst eine Schreibkraft sucht! Du bist echt die längste Zeit meine Freundin gewesen!«
»Und du?«, rief Corinna hinter ihr her. »Hast du mir vielleicht was davon erzählt, dass du die Anzeige im Inselblatt gelesen hast?«
Darauf gab Carolin vorsichtshalber keine Antwort. »Die falsche Schlange hat mir nichts von der Anzeige erzählt«, beschwerte sie sich bei Mamma Carlotta. »Dabei tippt sie viel langsamer als ich und höchstens mit vier Fingern. Außerdem kennt sie von Word für Windows gerade mal die Grundbegriffe!«
Man sah ihr an, dass sie es gern getan hätte, aber tatsächlich schaffte sie es, sich nicht umzusehen, um festzustellen, ob Corinna ihren Weg fortsetzte. Mamma Carlottas Stolz war weniger sensibel. Sie sah sich sogar mehrmals um, und so konnte sie Carolin schon bald berichten, dass Corinna kehrtmachte und zurückradelte. Nun hoffte Carolin nur noch, dass ihre Klassenkameradin sich wehrlos mit der Niederlage abfand, damit ihre Empörung mit ihrem schlechten Gewissen zurechtkam.
Erik war den ganzen Abend schweigsam, noch schweigsamer als sonst. Kein beifälliges Wort war über seine Lippen gekommen, als Mamma Carlotta die Vorspeise servierte, und sogar bei seinem geliebten Auberginenauflauf, der Parmigiana di melanzane, hatte er nur stumm auf seinen Teller geschaut.
Zum Glück verdrehte Sören bei jedem Bissen genießerisch die Augen und lobte die Köchin über den grünen Klee, sodass Mamma Carlotta zufrieden war, als sie schließlich Ossobuco auftrug. Aber nach dem Tiramisu schien selbst Sören die Einsilbigkeit seines Chefs zu viel zu werden, und er verabschiedete sich mit dem Versprechen, am nächsten Morgen zum Frühstück zu
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