Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
verhaften?«
»Weil er ein Mörder ist«, antwortete Carolin anstelle ihrer Großmutter.
»Wie kommst du denn darauf?« Erik sah seine Tochter an, als wüchse ihr eine Warze auf der Nase.
»Da muss ein Missverständnis vorliegen«, sagte auch Sören, setzte sich an den Tisch und warf einen begehrlichen Blick in den Ofen, in dem Fenchel und Mozzarella überbacken wurden.
»Dann war es doch Valerie?«, fragte Carlotta atemlos. »Du hast gesagt, ich hätte recht gehabt!«
»Ja, du hattest recht! Ich habe plötzlich erkannt, dass Kurt Fehring tatsächlich Valeries Auto auf Sylt gestohlen hat und nicht in Niebüll.«
»Um Valerie ein falsches Alibi zu verschaffen«, ergänzte Mamma Carlotta mit einem Feuer in den Augen, das Erik Angst machte.
»Nein, um sein eigenes Alibi zu sichern«, korrigierte Erik, setzte sich zu Sören und blickte wie er in den Backofen. Er schluckte, weil ihm das Wasser im Munde zusammenlief. »Also, das war so …«
Seine Erzählung war lang. Sie überdauerte die Vorspeise, sorgte dafür, dass niemand Zeit hatte, die pikante Feigensoße mit den Spaghetti zu loben, dass die Schweinesteaks alla Saltimbocca ohne besondere Aufmerksamkeit gegessen wurden und Mamma Carlottas Löffel schließlich in den Mascarponegratin fiel. Da endlich war heraus, wer und was hinter den beiden Morden steckte.
Als von Donatas Tod die Rede war, rief sie laut die Heiligen an, die für Gerechtigkeit, Liebe und Freundschaft zuständig waren, sodass Erik aufstand und das Fenster schloss.
»Also stimmt es«, meinte Carolin, nachdem sich ihre Nonna beruhigt hatte, »dass sie das Foto ihres Sohnes suchte?«
Erik nickte. »Davon gehen wir aus.«
»Warum hat sie dich nicht darum gebeten?«, fragte Mamma Carlotta.
»Weil sie fürchtete, dass ihr Mann oder ihr Sohn Magdalena Feddersen umgebracht hatte.«
Mamma Carlotta sah Carolin lange an. Die verstand, welche Frage ihre Großmutter bewegte, und schüttelte unmerklich den Kopf. Nein, der Vertrag, den sie mit Gero Fürst geschlossen hatte, behielt seine Gültigkeit. Sie durfte nicht verraten, was er in seinem Manuskript beschrieben hatte. Anscheinend hatte Gero Fürst es so gemacht wie die Heldin seines Romans. Er hatte herausgefunden, wer seine leibliche Mutter war, hatte sie beobachtet, um sie kennenzulernen, war in ihr Haus eingedrungen, um ihr nahe zu sein, um zu wissen, was für ein Mensch sie war. Und er hatte einige Gegenstände mitgenommen, um etwas von seiner Mutter bei sich zu haben. Vielleicht hatte er manchmal davon geträumt, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden. Aber noch öfter hatte er wohl davon geträumt, sie umzubringen, weil er sie hasste für das, was sie getan hatte. Ausgeführt aber hatte die schreckliche Tat die Protagonistin in seinem Roman, nicht der Autor.
Mittlerweile waren die Kinder zu Bett gegangen. Erik, Sören und Mamma Carlotta saßen noch zusammen.
»Und Angela Reitz?«, fragte Carlotta.
»Sie ist trotz des Mordes an Magdalena Feddersen bei ihrer Aussage geblieben«, erklärte Erik, »weil sie ganz sicher war, dass Valerie nichts damit zu tun hatte. Sie hatte ja recht.«
Eine lange Stille entstand. Draußen hatte sich ein sanfter Wind erhoben, der ein paar Ranken an die Fensterscheiben wehte. Gelächter drang aus dem Nachbargarten, über die Westerlandstraße fuhr ein Wagen, in dem das Autoradio laut aufgedreht war. Wie eine riesige Welle bäumte sich die Musik auf, als der Wagen die Einmündung zum Süder Wung passierte, dann lief sie aus und verstummte.
Sören sah auf die Uhr und verabschiedete sich. Als Erik ihm nachblickte, setzte ein sanfter Regen ein, wie er typisch für die Sommermonate war. Ein Regen, dem man das Gesicht entgegenhielt, von dem man wusste, dass er keinen Schaden anrichten würde und am nächsten Morgen längst weitergezogen war.
Als er in die Küche zurückging, sah er gleich, dass seine Schwiegermutter sich während seiner kurzen Abwesenheit mit einer Frage befasst hatte. »Wirst du dich nun viel um Valerie kümmern? Wirst du sie über das Alleinsein hinwegtrösten?«
Erik ging zum Schrank, holte die Grappaflasche und zwei Gläser heraus. »Ich glaube nicht, dass Valerie auf Sylt bleiben wird«, antwortete er. »Sie kommt aus Bochum, dorthin wird sie wahrscheinlich zurückkehren. Sie kann das Hotel ja nicht allein führen. Und Geld, um einen Geschäftsführer zu bezahlen, hat sie nicht. Mathis wollte an das Vermögen seiner Tante kommen, aber nun wird er sie nicht beerben, nachdem er ihren Tod
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