Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Rascheln, ein Knistern, eine Schuhsohle, die Grasbüschel niedertrat. Oder war es ein Tier, das sich anschlich, weil es Carlottas Witterung aufgenommen hatte? Da! Wieder schwirrte etwas über die Sommerblüher, strich an den Büschen vorbei. Eine winzige Verzögerung, dann das Schlagen einer Ranke, die sich verhakt hatte und zurückschnellte.
Mamma Carlotta saß stocksteif da, richtete sich auf, ohne sich zu erheben, wurde blind vor lauter Lauschen, sah nichts, hörte nur. Schritte? Waren es Hände, die das Buschwerk zerteilten? Oder doch nur eine Maus, die sich ihren Weg bahnte?
Sie kam nicht dazu, auch nur eine dieser Fragen zu beantworten. Denn plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Eine warme, breite, kräftige Männerhand.
Erik saß mit hängendem Kopf auf der Bettkante. Seine Glieder waren bleischwer, die Müdigkeit sickerte nur ganz allmählich aus seinem Körper. Was erwartete ihn? Ein weiterer Tag ohne Ermittlungsergebnisse? Noch ein Rüffel der Staatsanwältin? Und was würde das Inselblatt verkünden?
Stöhnend erhob er sich. Er würde Vetterich mit seinen Leuten heute noch einmal in Magdalena Feddersens Haus schicken. Irgendetwas mussten sie übersehen haben!
Während er über den Flur ins Badezimmer tappte, hörte er das Zirpen des Weckers aus Carolins Zimmer. Er musste sich beeilen. Seine Tochter legte neuerdings großen Wert auf eine ausgiebige und ungestörte Morgentoilette. Als der Hahn in Felix’ Zimmer krähte und der Wecker, der diesen Schrei produzierte, zu Boden polterte, fiel Erik auf, dass es kurz vorher noch still im Haus gewesen war, mucksmäuschenstill. Er wartete, bis Felix’ Unmutsäußerungen verklungen waren, dann lauschte er. Nichts regte sich.
War Mamma Carlotta etwa noch nicht auf den Beinen? Oder war sie bereits zum Bäcker unterwegs, um frische Brötchen zu kaufen? Er schnupperte. Nein, kein Kaffeeduft drang aus der Küche. Aber seine Schwiegermutter würde niemals einen Fuß aus dem Haus setzen, ohne sich mit einem starken Espresso darauf vorzubereiten. Er lauschte an der Tür des Gästezimmers, aber dahinter war alles ruhig. Missmutig verzog er sich ins Bad. Dieser Tag konnte nichts Gutes bringen, wenn er nicht mit einem ordentlichen Frühstück begann! Aber so, wie es aussah, verschlief Mamma Carlotta ausgerechnet heute. Dabei hätte ihm ihre Fürsorglichkeit gutgetan, ihre Fragen, auf die sie keine Antworten erwartete, ihre Freude, ihn zu verwöhnen. Normalerweise ging ihm das zwar auf die Nerven, aber an diesem Morgen hätte er sich gern darüber geärgert, dass sie die Küche bei der Zubereitung des Frühstücks in ein Schlachtfeld verwandelte und die Marmelade mit einem butterverschmierten Messer aus dem Glas holte.
Eine Viertelstunde später betrat er die Küche, trottete zur Espressomaschine und setzte sie in Gang. Während er lautstark den Tisch deckte, lauschte er immer wieder die Treppe hinauf. Mamma Carlotta musste doch hören, dass sie hier gebraucht wurde! Sonst war sie immer als Erste auf den Beinen.
Er knallte die Kanne in die Spüle, als er sich den Espresso eingeschenkt hatte, klapperte laut mit dem Geschirr, ließ die Melone polternd zu Boden fallen – und lauschte wieder. Nichts! Anscheinend hatte seine Schwiegermutter mal wieder die halbe Nacht vor dem Fernseher verbracht und holte nun den Schlaf nach, den sie bei »Sissy« oder »Vom Winde verweht« verloren hatte.
Zehn Minuten später sah auch Sören sich enttäuscht in der Küche um. »Ihre Schwiegermutter schläft noch?«
»Sieht so aus«, brummte Erik, schenkte seinem Assistenten einen Espresso ein und schob ihm eine Scheibe Brot hin. In diesem Moment klingelte das Telefon. Mit der Espressotasse in der Hand ging Erik in die Diele, um das Gespräch anzunehmen.
»Mathis! Ist was passiert?«
»Ich bin mir nicht sicher«, kam es zögernd zurück. »Aber mir ist gerade aufgefallen, dass Donata Zöllner in der letzten Nacht nicht ins Hotel zurückgekommen ist.«
»Sie wird woanders übernachtet haben.«
»Aber wo?«
»Was weiß ich!« Erik wurde ungeduldig. Was ging ihn Donata Zöllner an? »Sie war gestern Abend aus, hat einen Absacker in der Sansibar genommen und dort einen Mann kennengelernt.«
»Das glaubst du doch selber nicht.«
»Stimmt!« Erik glaubte es tatsächlich nicht. »Hast du einen Verdacht?«
Mathis Feddersen zögerte. »Ich fürchte, ihr könnte etwas zugestoßen sein.«
»Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
Das schien Mathis sich bereits gut
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