Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
dass sie vor der Kulisse der dichten Büsche nicht zu sehen war.
Auch Donata war nicht zu erkennen gewesen, denn als sie einen Schritt auf den Rasen machte, fuhr Mamma Carlotta der Schreck in die Glieder. »Sie sind es«, stöhnte sie erleichtert. »Gott sei Dank.«
Donata winkte sie heran. »Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt«, flüsterte Mamma Carlotta, »dass ich warten muss, bis im Haus alles ruhig ist. Carolin hat noch bis weit nach Mitternacht gelesen. Und Erik hat Einschlafstörungen, weil er mit dem Mordfall nicht weiterkommt.«
»Schon gut.« Sie konnte sehen, dass Donata lächelte. »Es war gar nicht schlecht, eine halbe Stunde hier im Garten zu sitzen und die Umgebung zu beobachten. Im Nachbarhaus ist erst vor einer Viertelstunde das letzte Licht ausgegangen. Wir werden ungestört sein, wenn wir es clever angehen.«
»Wir?«, fragte Mamma Carlotta gedehnt.
»Keine Sorge! Es bleibt dabei, dass Sie nur Schmiere stehen. Bleiben Sie hier, und geben Sie mir Bescheid, wenn jemand kommt oder wenn Sie irgendwas Auffälliges beobachten.«
»Und was soll ich dann tun?«
Donata drückte Mamma Carlotta eine Taschenlampe in die Hand. »Sie lassen einmal das Licht aufblitzen. Setzen Sie sich an den Gartenzaun neben dem Rhododendronbusch. Dort werden Sie nicht gesehen, wenn jemand vorbeikommen sollte, aber ich werde ein Aufblitzen der Taschenlampe auf jeden Fall bemerken, während ich den Schreibtisch durchsuche.«
»Und wenn Sie dort nicht das finden, was Sie haben wollen?«
»Ich weiß, dass es dort ist.«
»Und dann …« Mamma Carlotta zögerte. »Dann verraten Sie mir, worum es geht?«
Sie spürte, dass Donata ihren Arm berührte. »Danach sehe ich klarer, dann werde ich Ihnen alles erzählen.« Ihre Hand griff fester zu. »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Ohne Sie hätte ich nicht den Mut gehabt. Aber wenn Sie hier draußen aufpassen …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern fügte zuversichtlich an: »Es wird schon gut gehen.«
Mamma Carlotta nickte, dann zog sie sich mit der Taschenlampe an den Gartenzaun zurück. Sie wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Wenn Donata gefunden hatte, was sie suchte, würde sie auf dem schnellsten Weg nach Hause fahren, sich ins Bett legen und am Morgen das Frühstück zubereiten, als wäre nichts gewesen.
Ein paar Stunden später würde sie dann im Café Lindow erfahren, was Donata in Magdalena Feddersens Haus gestohlen hatte. Nein, stehlen würde sie nichts, das hatte sie immer wieder versichert. Sie würde nur etwas nehmen, was ihr zustehe, etwas, was nur für sie einen Wert habe, was niemand vermissen würde, was Magdalena Feddersen ihr längst gegeben hätte, wenn sie sie noch lebend angetroffen hätte. Mamma Carlotta konnte also ganz beruhigt sein, es geschah nichts Unrechtes.
Das flüsterte sie sich immer wieder zu, aber ganz beruhigt war sie trotzdem nicht. Wenn sie an Erik dachte, wurde sie sogar ausgesprochen unruhig, und wenn sie sich ausmalte, dass er erfahren könnte, was sie hier tat, dann wurde ihr schlecht vor Angst. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen? Aus purem Mitleid natürlich, antwortete ihr Gewissen unverzüglich. Ihr Bauch allerdings mischte sich prompt ein und behauptete, es sei auch eine gehörige Portion Abenteuerlust und Neugier dabei gewesen. An dieser Stelle kam ihr freundlicherweise wieder ihr Kopf zur Hilfe, der zu bedenken gab, dass Unkenntnis zwar nicht vor Strafe schütze, aber als Ausflucht dennoch gut zu gebrauchen sei.
Mamma Carlotta starrte zum Wohnzimmerfenster, das Donata schon vorher aufgebrochen hatte, als der Augenblick günstig gewesen war. Mamma Carlotta dankte ihrem Schöpfer, der ihr erspart hatte, auch dabei zuzusehen. Im Fenster war ein schwaches Licht zu erkennen, das Licht von Donatas Taschenlampe, das in die Schreibtischfächer leuchtete.
Die Zeit dehnte sich. Und wer in jeder Minute bis sechzig zählte, um die Zeit mit einer Aufgabe zu füllen, der machte sie nur noch länger. Und es wurde nicht besser, als sich eine Frage in ihr erhob, die schon eine Weile in irgendeiner Ecke gekauert hatte. Wenn Donata ihr morgen erzählen wollte, warum sie heimlich in Magdalena Feddersens Haus einstieg – warum hatte sie es dann nicht schon heute tun können?
Mehr als drei Minuten konnten noch nicht vergangen sein, als das Warten unerträglich wurde. Und höchstens fünf Minuten waren verstrichen, als sie durch ein Geräusch aufgeschreckt wurde. Ein
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