Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
hat dir eine Rettungsleine zugeworfen, ohne die du verloren gewesen wärst. Vergiss das nie!
»Hier ist die Weggabelung.« Bera deutete auf die Karte, jetzt wieder ganz geschäftig. »Der eine Pfad führt in eine Wüste, der andere hoch ins Gebirge. Hmm … Sieht ziemlich steil aus, und die Berge sind sehr hoch.« Sie schürzte die Lippen. »Wir sollten besser den Weg durch die Wüste nehmen.«
»Ist der nicht länger?«, fragte Karl.
»Ist er«, bestätigte Bera. »Aber er sieht weniger gefährlich aus.«
»Also, dann auf durch die Wüste«, sagte Karl.
Der Nachmittag verlief ohne irgendwelche Zwischenfälle.
In der Nacht wurde es so kalt, dass Bera sich wieder an Karl schmiegte, obwohl sie sich auch diesmal kaum entspannte, bis sie endlich einschlief. Karl schlang die Arme um sie; schließlich ging es ja nur darum, einander zu wärmen. Beide Sonnen hatten den ganzen Tag über hell geschienen, was vermutlich der Grund dafür war, dass er sich so gut wie schon seit Wochen nicht mehr fühlte.
Als sie am nächsten Morgen aufstanden, war Bera genauso wortkarg wie tags zuvor. Auch während sie ritten, sprachen sie kaum miteinander, teilweise aber auch nur, um Energie zu sparen, denn sie hätten fast schon schreien müssen, um sich unterhalten zu können, sobald die Pferde erst einmal trabten.
Als Bera schließlich doch wieder sprach, wirkte sie deutlich entspannter, und Karl wurde bewusst, dass er überhaupt kein Bedürfnis nach belanglosen Plaudereien verspürte. Auf Avalon war es gelegentlich vorgekommen, dass er sich nach dem Frieden und der Stille an Bord seines Schiffes gesehnt hatte, so wie er während eines längeren Raumflugs dann plötzlich wieder Sehnsucht nach der Gesellschaft seiner lieben – wenn auch manchmal ziemlich anstrengenden – Familie verspürte.
Auch Bera schien nicht endlos über irgendwelche Nebensächlichkeiten plappern zu wollen, obwohl sie ihn immer wieder mit ungewöhnlichen Fragen überraschte. »Hast du jemals Schokolade probiert?«, war ein typisches Beispiel dafür. Worauf er sie mit der Antwort enttäuschte, dass es mindestens vier Welten gab, die behaupteten, im Besitz des geheimen Rezepts für die echte Schokolade zu sein. Eine andere dieser Fragen lautete: »Was ist deine Lieblingsfarbe?«
»Jedenfalls nicht Braun«, erwiderte er trocken, wobei er sich demonstrativ umblickte, was Bera ein Kichern entlockte. Sonst gab es nicht allzu viel, womit sie sich während des Ritts ablenken konnten, nichts als endloses Ödland, Hügel und Täler, dunkles Grün, Schwarz, verschiedene Rottöne und gelegentliche weiße Schneeflecken, vor allen Dingen aber alle vorstellbaren Varianten von Braun: Gelbbraun, Graubraun, Rotbraun, Kaffeebraun, Umbra, Ocker, Khaki … jede nur denkbare Schattierung von Braun.
»Bald werden wir ein letztes Tal durchqueren«, sagte Bera gegen Mittag, »bevor wir die eigentliche Wüste erreichen. In dem Tal liegt ein See, der Sofavatn heißt.« Karl fragte sich schon, woher der Name »Schlafwasser« wohl herrührte, und Beras nächste Worte machten ihn noch neugieriger. »Wir werden den Atem so lange wir können anhalten müssen, während wir an dem See vorbeireiten.«
»Gase?«, fragte er.
»Ja«, bestätigte sie. »Man kann davon ohnmächtig werden. Wenn man danach wieder zu sich kommt, kommt es vor, dass man fantasiert. Und wenn man dem Gas zu lange ausgesetzt wird, kann es einen sogar umbringen.«
»Und was ist mit den Pferden?«
»Angeblich beeinträchtigt es sie längst nicht so stark, obwohl ich bezweifle, dass sich irgendwer jemals lange genug am Sofavatn aufgehalten hat, um festzustellen, welche Wirkung die Gase aus dem See auf sie haben.«
Etwa eine Stunde später erreichten sie das Tal, das von Büschen gesäumt war. Karl glaubte, die vom Wasser aufsteigenden Dämpfe sehen zu können, aber als er Bera eine entsprechende Frage stellte, sagte sie: »Das bildest du dir nur ein. Es sei denn, du nimmst Wellenlängen wahr, die sich außerhalb meines Sichtbereichs befinden.«
Er wollte sie gerade fragen, wie die Dämpfe zusammengesetzt waren, als er sich wieder an ihre bissige Reaktion über seine Neugier am Salturvatn erinnerte und es sich anders überlegte. »Ich würde liebend gern mit einem Forscherteam zurückkommen, um den See zu untersuchen«, sagte er.
Bera lächelte ihn an. »Ich fände es auch schön, wenn du zurückkommen würdest«, erwiderte sie. »Zusammen mit anderen Leuten, natürlich«, fügte sie hastig hinzu.
»Natürlich.« Es
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