Gesucht wird Charity
Stillstand zu kommen.
»Vermutlich können Sie es als
eine instinktive Reaktion auf Gründe bezeichnen, die zu kompliziert sind, um
erklärt zu werden«, sagte ich erwartungsvoll.
»Was geht Sie Charity Raymond überhaupt an?«
»Ihr Vater hat mich engagiert,
sie zu finden.«
»Aber warum kommen Sie hierher,
wenn Sie bereits wissen, daß sie schon vor zwei Tagen weggegangen ist?«
»Irgendwo mußte ich anfangen«,
sagte ich. »Ich dachte, es bestünde vielleicht eine Chance, daß Sie mir helfen
können. Daß Sie vielleicht eine Ahnung hätten, wohin sie gegangen sein könnte.«
»Ah so.« Sie lehnte sich in den
Drehstuhl zurück, hielt sich das Glas vors Gesicht und betrachtete es
eingehend. »Arbeiten Sie gern für Earl Raymond, Mr. Holman ?«
»Es ist mir zuwider, etwas für
diesen Bastard tun zu müssen«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Aber er hat mich an
der Strippe.«
Ich erzählte ihr von Raymonds
verrücktem Plan, zu versuchen, mich in eine vorgetäuschte Entführungsaffäre zu verwickeln,
in der Hoffnung, daß dies seiner Version Glaubwürdigkeit verleihen würde. Dann,
nachdem er entdeckt hatte, daß seine Tochter tatsächlich verschwunden war,
blieb mir nichts anderes übrig, als nach ihr zu suchen. »Ich glaube, das ist
auch der Grund, weshalb ich das Auffinden der Leiche nicht der Polizei gemeldet
habe«, fügte ich hinzu. »Das würde bedeuten, daß ich dort vom Verschwinden von
Earl Raymonds Tochter berichten müßte, und diese Story — gekoppelt mit Legartos Ermordung — würde noch mehr sensationelle
Schlagzeilen machen, als das Raymonds vorgetäuschte Entführung getan hätte. Ich
bin einfach ausreichend niederträchtig, um ihm bei seinen eigentlichen
Absichten nicht noch behilflich zu sein.«
»Sie haben wahrscheinlich
recht«, sagte sie entschieden. »Ich glaube, die meisten dieser Leute scheinen
wirklich Lügner zu sein.«
Sie stand auf und kam um den
Schreibtisch herum auf mich zu. Eine große Frau mit langen Beinen und kleinen,
spitzen Brüsten, die sachte unter der dünnen Seidentunika auf und ab wippten,
während sie ging.
»Bitte, stehen Sie auf, Mr. Holman .«
Ich stand auf und blieb vor ihr
stehen. Sie trat dicht an mich heran, legte die Arme um meinen Rücken und
preßte ihren Körper der ganzen Länge nach gegen den meinen. Ihr Kopf bewegte
sich eine Spur, so daß wir Wange an Wange geschmiegt dastanden, und ich konnte
die weiche Glätte ihrer zarten Haut spüren. Ungefähr eine Minute lang standen
wir so regungslos da, dann trat sie zurück, und ich sah das schwache Lächeln
auf ihren Lippen. »Normalerweise tue ich so etwas nicht außerhalb der
Gruppentherapie, Mr. Holman «, sagte sie milde. »Aber
es ist wichtig, sinnlichen Kontakt herzustellen, bevor man jemandem völlig
trauen kann.«
»Was, wirklich?« sagte ich
verdutzt.
»Sind Sie mit mir derselben
Meinung, daß das wichtigste von allem Charity Raymonds Sicherheit ist?«
»Natürlich«, sagte ich.
»Dann wird es Sie freuen, zu
hören, daß Sie Ihren von Earl Raymond erhaltenen Auftrag erfolgreich erledigt
haben. Charity ist hier in der >Zuflucht<. Sie
ist heute in den frühen Morgenstunden zurückgekehrt.«
»Warum?«
»Weil dies vermutlich im
Augenblick der einzige Ort war, der ihr wirklich Zuflucht bot.« Danielas dunkle
Augen blitzten zornig. »Sie war hysterisch vor Angst, fast nackt, und blutete
aus Schnitten an Armen und Beinen. Miß Manning war vergleichsweise die
Selbstbeherrschung in Person, als sie hierherkam. Charity war in einem schlimmen psychischen Schockzustand, und ich konnte ihr nur eine
Injektion geben, damit sie schlafen konnte. Seit sie vor ungefähr zwei Stunden
aufgewacht ist, scheint sie sich in einem katatonischen Zustand zu befinden.
Aber ich nehme an, das wird nur vorübergehend sein.«
»Haben Sie eine Ahnung, wann
ich mit ihr reden kann?« fragte ich.
»Da habe ich eine gewisse
Vorstellung. Gruppentherapie — nur wir drei — könnte wirkungsvoll sein. Aber es
wäre sinnlos, das vor heute abend zu versuchen.
Wollen Sie nicht um halb sieben Uhr hier vorbeikommen, Mr. Holman ,
und mit mir zu Abend essen, so daß ich Ihnen die Grundlagen dieser speziellen
Therapie erklären kann, bevor wir damit beginnen?«
»Ausgezeichnet«, pflichtete ich
bei. »Ich werde kommen.«
»Was immer diese Leute mit Charity anzustellen versuchen, es gefällt mir nicht.« Ihre
leise Stimme hatte etwas Gefährliches. »Es gefällt mir ganz besonders deshalb
nicht, weil ich das Gefühl habe, daß man hier
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