Gesucht wird Charity
Leder bezogene
Schreibtisch in der Mitte eines üppigen, dicken Teppichs machte einen
ehrfurchterregenden Eindruck. Hinter ihm, sachte auf dem Drehstuhl hin und her
wippend, saß eine Frau. Ihr grobes schwarzes Haar schien vor Vitalität zu
sprühen und war kurz wie das eines Mannes rund um ihren Kopf geschnitten. Sie
hatte einen klaren Teint, und die tiefliegenden schwarzen Augen hatten den
leuchtenden Glanz geschliffener Edelsteine. Sie trug eine schwarze Seidentunika
mit einer Art Kosakenkragen und dazu passende Hosen. Ihr Gesicht hatte eine
gewisse natürliche Arroganz, und wenn man sie während der nächsten zwei Wochen
zum ersten weiblichen General der Marineinfanterie gemacht hätte, so hätte mich
das nicht weiter gewundert. »Guten Morgen.« Ihre Stimme klang tief und
melodisch. »Ich bin Daniela. Sie wollten mich sprechen?«
»Ich bin Rick Holman «, sagte ich.
» Holman ?«
Ihre glänzenden Augen waren plötzlich interessiert. »Doch nicht zufällig der
Mörder Holman ?«
»Wie?« krächzte ich.
»Das war der eindeutige
Eindruck, den mir vor ungefähr einer halben Stunde Sarah Manning vermittelte.«
»Haben Sie was dagegen, wenn
ich mich setze?« fragte ich schwach. »Ich habe das Gefühl, daß meine Beine
unter mir nachgeben.«
»Bitte«, sagte sie höflich.
Ich sank in den nächsten
Besucherstuhl und fummelte nach einer Zigarette. »Sarah Manning ist hier?«
»Sie schläft im Augenblick. Ich
mußte ihr ein Beruhigungsmittel geben.«
»Und sie behauptet, ich sei ein
Mörder?«
»Allerdings!« Ihr breiter Mund
verzog sich zu einem flüchtigen Lächeln. »Ich würde sagen, Sie sehen nicht wie
ein Mörder aus, Mr. Holman , aber schließlich habe ich
mit Bewußtsein noch nie einen kennengelernt.«
»Es war ein plötzlicher
Impuls«, sagte ich. »Ein so schöner Morgen — und ich überlegte, warum soll ich
nicht hinausgehen und mal was anderes tun, etwas, das ich noch nie im Leben
getan habe?«
»Es dauerte eine Weile und
bedurfte einiger Geduld, bevor Miß Manning einigermaßen zusammenhängend ihre
Geschichte erzählen konnte«, sagte sie. »Soviel ich verstanden habe,
verbrachten Sie beide die Nacht in einer Hütte, die einem Mr. Malone gehört.
Heute früh, nachdem Sie weggegangen waren, um einen Eimer Wasser im Waschraum
zu holen — und dabei ziemlich lange wegblieben — , schien sich Ihr gesamtes
Wesen plötzlich verändert zu haben. Sie beschimpften Miß Manning, bezeichneten
sie als Lügnerin, und dann, nachdem Sie ihr genau beschrieben hatten, wo das
Klohäuschen liegt, grinsten Sie sie an und legten ihr nahe, zu schreien, wenn
sie etwas brauche. Kurz bevor sie das Häuschen erreichte, sah sie unter einem
Busch ein nacktes Bein hervorragen. Bei näherer Betrachtung stellte sich
heraus, daß es sich um eine Leiche handelte, um die eines Mannes in einem
Frauenkleid. Er war erschossen worden. Miß Manning war überzeugt, daß sie
selbst das beabsichtigte zweite Opfer sein sollte, und so rannte sie davon. Ich
möchte annehmen, es war mehr Glück als Orientierungsvermögen, daß sie den Weg
durch den Wald hierher gefunden hat.«
»Haben Sie die Polizei
benachrichtigt?« fragte ich.
»Nein.«
»Warum nicht?«
Sie zuckte sachte die
Schultern. »Das Mädchen ist möglicherweise hysterisch, vielleicht leidet sie an
einem tiefsitzenden emotionellen Trauma und hat sich das Ganze nur eingebildet.
Wenn die Polizei Nachforschungen anstellt und keine Leiche findet, so würde das
dem Ruf des Sanatoriums unnötig schaden. Ich beschloß, zu warten, bis sich Miß
Manning von dem Schock erholt hat, sie dann zu der Hütte zurückzufahren und mir
erst den Toten zeigen zu lassen.«
»Es handelt sich um Johnny Legarto «, sagte ich.
Sie blickte leicht verdutzt
drein. »Wie bitte?«
»Es ist seine Leiche, die unter
dem Busch liegt«, sagte ich. »Aber ich habe ihn nicht umgebracht. Meiner
Schätzung nach war er seit mindestens zwölf Stunden tot, bevor ich ihn heute morgen unter dem Strauch fand.«
»Und Sie haben Miß Manning
absichtlich dort hinausgeschickt, wohl wissend, daß sie die Leiche entdecken
mußte, Mr. Holman ?«
»Ich dachte, es würde
vielleicht eine Art Schocktherapie auf eine gewohnheitsmäßige Lügnerin wirken«,
sagte ich. »In der Hoffnung, daß sie dann möglicherweise zur Abwechslung einmal
die Wahrheit erzählen würde.«
»Wobei hat sie denn gelogen?«
»Bei allem, was mir irgendwie
von Hilfe gewesen wäre.«
In ihren dunklen Augen lag ein
ungläubiger Ausdruck, während sie
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