Gesund durch Meditation
Ihnen schwerfällt, beim Body-Scan wach zu bleiben, versuchen Sie, die Übung mit offenen Augen durchzuführen.
6. Yoga ist Meditation
Jedes Tun, dem man sich mit Achtsamkeit widmet, wird in gewisser Weise zur Meditation. Achtsamkeit erhöht enorm die Wahrscheinlichkeit, dass jede Handlung, die man ausführt, die Selbstwahrnehmung und das Selbstverständnis erweitert. Zum großen Teil ist Achtsamkeit einfach ein
Sich-Erinnern,
bei jedem Tun ganz da zu sein und es weder im halbwachen Zustand noch in einem Nebel pausenlosen Denkens zu verrichten. Dazu ist bewusste Übung unerlässlich, weil ohne diese Erinnerung der Autopilot sehr schnell das Steuer wieder übernimmt.
Der Hauptgrund dafür, dass unsere Patienten so rasch Zugang zur Meditation und ihrer heilenden Qualität finden, liegt vermutlich darin, dass die Übung der Achtsamkeit sie an das Wissen um ihr ursprüngliches Ganzsein erinnert, das sie von jeher in sich tragen, ohne dass sie sich dessen bisher bewusst waren. Es ist ein zutiefst vertrautes Gefühl, das man sofort erkennt, wenn es sich wieder einstellt, wie bei einer Heimkehr nach langer Abwesenheit.
Ein Aspekt dieser Erfahrung ist, dass man sich dabei auch in seinem Körper wieder zu Hause fühlt. Es ist daher merkwürdig, dass die englische Sprache uns nicht erlaubt, von »rebody« – »wiedereinkörpern« – zu sprechen, da dies doch offensichtlich ein ebenso wichtiger und brauchbarer Begriff wäre wie »remind«. In dem einen oder anderen Sinne hat alles, was wir im MBSR tun, mit »rebodying« zu tun, dem Wiederherstellen der Verbindung zum eigenen Körper. Es gibt eine ganze Reihe von Techniken, sich darin zu üben, im Körper zu sein. Eine der wirkungsvollsten und zugleich wohltuendsten Methoden ist
Hatha-Yoga.
Neben dem Body-Scan und der Sitzmeditation ist der achtsame Hatha-Yoga die dritte formale Meditationstechnik, die wir im Rahmen des MBSR -Trainings einsetzen. Hatha-Yoga-Übungen werden sehr langsam und bewusst atmend ausgeführt. Es sind sanfte Dehn-, Kräftigungs- und Gleichgewichtsübungen, bei denen man auf alle Körperempfindungen achtet, während man die verschiedenen Stellungen einnimmt, die im Yoga auch als
Asanas
bekannt sind. Viele der Teilnehmer »schwören« geradezu auf diese Übungen und ziehen sie, zumindest anfänglich, dem Body-Scan oder der Sitzmeditation vor. Was sie für den Yoga einnimmt, sind die tiefe Entspannung, die Kräftigung und Lockerung des Bewegungsapparates, die sich mit regelmäßiger Übung einstellen. Und vor allem gibt er ihnen die Möglichkeit, sich nach mehreren Wochen Sitzmeditation und Body-Scan bei den Übungen endlich wieder zu bewegen! Und wiederum ist es für sie hilfreich, dass die ausgestreckte Lage, die wir im Body-Scan einnehmen, selbst auch eine Yoga-Position ist, nämlich
Savasana,
die »Totenstellung«. Sie gilt sogar als die schwierigste unter allen traditionellen Yoga-Positionen, die uns zum Teil so schwer erscheinen, dass wir uns unmöglich vorstellen können, sie jemals selbst auszuführen. Warum ist Savasana so schwierig? Weil es ebenso leicht wie schwer ist, Vergangenheit und Zukunft in sich sterben zu lassen und für sie zu sterben (daher der Name »Totenstellung«) und damit zur völligen Lebendigkeit im gegenwärtigen Augenblick zu erwachen.
Yoga ist mehr als nur eine effektive Methode, um den eigenen Körper zu entdecken, ihn geschmeidiger und biegsamer zu machen, zu kräftigen, zu entspannen und wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Von außen betrachtet mag Yoga nur wie eine Körperübung aussehen, doch ist er weit mehr als bloße Körperertüchtigung. Mit Achtsamkeit ausgeführt, ist Yoga wirkliche Meditation. So werden die Yoga-Übungen mit der gleichen inneren Einstellung durchgeführt wie die Sitzmeditation oder der Body-Scan, nämlich ohne etwas zu erzwingen. Man nimmt den Körper von einem Augenblick zum anderen in dem Zustand an, in dem er sich gerade befindet. Während man sich dehnt, streckt oder ausbalanciert und dabei zugleich die Aufmerksamkeit von Augenblick zu Augenblick aufrechterhält, lernt man, mit den eigenen Grenzen zu arbeiten. All dies geschieht in Geduld. Während man zum Beispiel in einer Dehnungsposition behutsam an seine Grenze geht, übt man sich darin, an dieser Grenze atmend zu verweilen. Statt sich überhaupt nicht zu fordern oder zu überfordern, bewegt man sich so in einem Bereich kreativer Körpererfahrung. Diese Praxis unterscheidet sich grundlegend von körperlichen
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