Gesund durch Meditation
ein dramatischer Umbruch wirkt – wenn er nicht sogar noch tiefer ins eigene Sein führt. Ob nun aber dramatisch oder subtil, immer ist der Wechsel der Perspektive ein Zeichen dafür, dass man mit den Augen der Ganzheit zu sehen gelernt hat.
Für einige unserer Patienten erweist sich der Body-Scan von Anfang an als äußerst wirksam. Bei anderen Kursteilnehmern kommt es erst nach Wochen der Übung zu ein wenig Entspannung, einer Erfahrung der inneren Stille oder ersten Ansätzen einer veränderten Einstellung. Sprechen wir dann aber gemeinsam über ihre Erfahrungen, zeigt sich, dass auf einer tieferen Ebene und weniger spektakulär auch bei ihnen die ersten zwei Wochen regelmäßigen Übens etwas bewirkt haben, kleine Anstöße, die dann manchmal erst beim Wechsel zu den Yoga-Übungen Form annehmen. So kann sich während der Zeit, in der ausschließlich der Body-Scan geübt wird, unbemerkt eine neue Wahrnehmungsform vorbereiten, die dann mit dem aktiveren Körpereinsatz auf einmal Gestalt gewinnt.
Der Heilungsverlauf ist letztlich eine zutiefst persönliche Erfahrung, die im Einzelnen von jedem Menschen anders erlebt wird. Jeder von uns, ob krank oder gesund, hat seine eigenen Lebensumstände, mit denen er fertig werden muss. Die Meditation, als Suche nach sich selbst und Weg zur Selbstfindung, kann unserem Vermögen, uns der »ganzen Katastrophe« zu stellen, eine völlig neue Dimension eröffnen. Um diese Dimension in Ihrem Leben zu verwirklichen, müssen Sie sich jedoch die Meditationsübung in ihren Grundzügen
aneignen,
und das heißt
zu eigen
machen; sie muss etwas sein, das zu Ihnen gehört und zu Ihnen passt, zu
Ihrem
Leben und
Ihren
Bedürfnissen. Für welche Meditationsform Sie sich dabei entscheiden, hängt von Ihren persönlichen Lebensumständen und nicht zuletzt von Ihrem Temperament ab.
In der Klinik sind wir immer wieder überrascht zu sehen, welche individuellen Wege unsere Patienten beschreiten, um die Meditationspraxis in ihr Leben zu integrieren, und welche Auswirkungen die Übung der Achtsamkeit umgekehrt auf ihr Leben hat. Die Resultate sind oft ganz unvorhersehbar – ein Grund mehr, sich ganz der Meditationsübung selbst zu verschreiben und sich dabei möglichst von allen Zielvorstellungen zu lösen, auch wenn diese ursprünglich den Anstoß zur Teilnahme am Programm gegeben haben. Die meisten Patienten kommen, um zur Ruhe zu finden, um Entspannung zu lernen und besser mit Stress und Schmerz zurechtzukommen, und oft verlassen sie uns als verwandelte Menschen mit Erfahrungen, die weit jenseits dessen liegen, was zu erreichen sie sich ursprünglich erhofft hatten. Keines dieser »Resultate« der Achtsamkeitsübung ist vorhersagbar, und dennoch sind sie unmittelbares Ergebnis der Meditationspraxis.
Heilung
in dem Sinn, in dem wir das Wort hier verwenden, bedeutet nicht unbedingt
Genesung,
auch wenn die Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als Synonyme gelten. Dennoch ist es wichtig, zwischen beiden zu differenzieren, weil sich aus ihnen vollkommen unterschiedliche Überlegungen ableiten. [9] Wie wir im nächsten Kapitel noch sehen werden, gibt es bei chronischen Erkrankungen oder stressbedingten Störungen nur wenige ärztliche Handhaben zur vollständigen Gesundung. Aber auch wer nicht
gesund
wird, kann
heil
werden, das heißt lernen, mit den Bedingungen, wie sie sich uns in diesem Moment zeigen, zu leben und zu arbeiten. Heilung schließt die Möglichkeit ein, gegenüber Krankheit, Schmerz und sogar Tod unsere Einstellung zu verändern, indem wir lernen, mit den Augen der Ganzheit zu sehen.
Menschen mit chronischen Erkrankungen oder stressbedingten Problemen können genauso ihre Ganzheit erfahren wie jeder andere auch. In Augenblicken, in denen man Ganzheit erlebt und sich mit den Dimensionen des eigenen Seins verbindet, hat man oft das deutliche Gefühl, mehr als die körperliche Krankheit, mehr als die Probleme zu sein, unter denen man zu leiden hat, und ist dann weit besser in der Lage, diese zu akzeptieren. Wer sich schon eine Weile in der Meditation übt und glaubt, ein Versager zu sein, weil er »trotzdem« noch Krebs oder Aids hat oder herzkrank ist, hat MBSR und die Übung der Achtsamkeit gründlich missverstanden.
Wir meditieren nicht, um Schmerzen, Krankheit oder Probleme zu beseitigen,
ebenso wenig wie wir meditieren, um besondere Gefühlsebenen zu erreichen. Ob man an einer unheilbaren Krankheit leidet oder kerngesund ist, niemand weiß, wie lange er noch
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