Gesundheit, Herr Doktor!
Pip.
«Nur, weil mir hier ungerechterweise der Ruf anhängt, ein Tolpatsch zu sein. Es stimmt, ich habe manchmal Instrumente, Röntgenaufnahmen und Krankenblätter auf den Boden fallen lassen -»
«Gelegentlich auch Patienten», erinnerte ihn Tony.
«Aber ich möchte aufrichtig gern den Menschen helfen, die sich selbst nicht helfen können. Ich weiß, man spricht das im St. Swithin nicht gerne aus - und schon gar nicht laut, in der Bar -, aber einen anderen Grund, hier zu sein, haben wir eigentlich nicht.»
«Hatte jemand noch andere Vorschläge?» fragte Hugo.
«Ja. Der Vorstand. Er riet mir, Hausdiener zu werden.»
«Aber das ist doch eine glänzende Idee!» rief Tony grinsend.
«Findest du? Aber in welchem Krankenhaus sollte ich mich bewerben?»
«Hier. Im St. Swithin», sagte Tony. «Stell dir nur einmal vor - du schiebst eine Leiche den Korridor entlang und rennst damit dem Vorstand in den Bauch. Die Dramatik der Begegnung Stanleys mit Dr. Livingstone verblaßt dagegen.»
Die beiden jungen Ärzte begannen so herzlich zu lachen, daß alle in der Nähe Sitzenden aufhorchten.
«Ich seh das Gesicht des Vorstands vor mir», wieherte Hugo, «wenn du ihn mit dem Servierwagen rammst.»
«Dann schmeißt er mich nochmals raus», sagte Pip, der das Ganze gar nicht so komisch fand.
«Ausgeschlossen, mein Lieber», meinte Hugo. «Die Hausdiener unterstehen der Spitalsverwaltung. Der Vorstand des Medizinischen Instituts kann Hausdiener ebensowenig hinausschmeißen wie Mr. Clapper dort oben in seinem Büro nach einem Skalpell greifen und in einem Patienten herumstochern kann.»
«Es könnte vielleicht ganz lustig werden», gab Pip zögernd zu. «Aber Mr. Clapper wird mich abweisen.»
«Sei nicht bockbeinig», sagte Tony Havens und leerte seinen Bierkrug. «Du sprichst Englisch und bist ein Weißer.»
6
«Ach, Mr. Grout.» An diesem Nachmittag hob Mr. Clapper, der Vorstand des Verwaltungsbüros zu St. Swithin, den Kopf und faßte seinen Untergebenen über die breite Schreibtischplatte hinweg ins Auge. «Nehmen Sie bitte Platz. Ich möchte ein wenig mit Ihnen plaudern.»
Mr. Clapper hatte bläuliche Pausbacken, einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, sein schwarzes Haar und seine schwarzen Schuhe verbreiteten an den beiden Polen seines globusartigen Körpers einen milden Glanz. Seine Brille hatte einen dunklen Rand, seine Augen einen rosaroten. Stets umspielte ein schwaches Lächeln seine feuchten Gummilippen. Er sah wie eine Katze aus, die soeben Rahm gegessen hat und genau weiß, daß es davon noch eine Menge gibt.
Das Verwaltungsbüro nahm den ganzen ersten und zweiten Stock des Hauptgebäudes ein, und Mr. Clapper strebte emsig danach, es bis in die Säle des dritten Stockwerks auszuweiten, die er wegen Personalmangels für Patienten hatte leider schließen müssen. Sein Zimmer war groß und luftig und hatte, da es an der Ecke lag, viele Fenster. Mr. Grouts Zimmer war klein und lag gleich davor. Mr. Clapper hätte Mr. Grout durch die Tür mit dem Ruf «Charlie!» leicht herbeirufen können; er zog es aber vor, einen der Knöpfe an seinem Tisch zu drücken - es gab deren eine lange Doppelreihe in verschiedenen Farben wodurch er auf der Stelle seine im ganzen Spital verstreuten Leute erreichen konnte.
«Sie sprechen doch Deutsch, nicht wahr, Mr. Grout?»
«Nein, nur ein bißchen Französisch, Mr. Clapper. II fait beau temps, où est les messieurs... und dergleichen.»
Der Verwalter runzelte leicht die Stirn. «Wie ich höre, haben beide Sprachen viele Wörter gemeinsam. Aber ich bin kein Linguist. Da kann man wohl kaum von einem System sprechen, wenn sich die Menschen heutzutage im bemerkenswert klein gewordenen und leicht zu bereisenden modernen Europa miteinander nicht verständigen können. Ich sehe wirklich nicht ein, warum sie nicht alle auf Englisch umschalten.» Er brach ab, und seine Miene umwölkte sich noch mehr. «Mr. Grout-»
«Ja, Mr. Clapper?»
«Ihr Hemd, Mr. Grout.»
Sein Untergebener blickte an sich hinab. Er war jung und dürr, hatte strohblondes Haar und einen Walroßschnurrbart. Auch er trug einen dunklen Anzug und stand mit respektvoll am Rücken verschränkten Händen vor Mr. Clappers Schreibtisch.
«Ich finde nicht, Mr. Grout, daß ein so herausfordernd rosa gestreiftes Hemd Ihrer Position angemessen ist.»
«Ich wurde in einer Boutique überredet, es zu kaufen», verteidigte sich Mr. Grout demutsvoll.
«Ich weiß zwar, daß Sie nicht verheiratet sind und daß Ihre Kleidung
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