Gesundheit, Herr Doktor!
«Ihre Sozialversicherungsnummer? Ihre Steuergruppe?» Pip mußte gestehen, sie ebensowenig zu wissen wie das Tierkreiszeichen, unter dem er geboren war. «Sie müssen selbstverständlich auch der OHA beitreten. Eine geschlossene Organisation. Suchen Sie Mr. Sapworth auf. Er ist in etwa zwei Minuten im Aufenthaltsraum fällig.»
«Ich besitze keine Uhr mehr. Ein wundervoll befreiendes Gefühl. Ich hätte schon Vorjahren auf eine Uhr verzichten sollen.»
«Halten Sie sich vor Augen, daß die Patienten mehr Krankendiener zu sehen bekommen als Ärzte. Wie Mr. Clapper sagt: Ihre Einstellung und Ihre Leistungsfähigkeit sind von größter Bedeutung für den Ruf des St. Swithin. Bestätigen Sie hier, bitte, den Erhalt dieses braunen Mantels.»
Pip verließ die Kanzlei mit dem Gefühl, es sei erhebender, im St. Swithin als Krankenträger aufgenommen zu werden, denn als Student. Er hielt es für besser, in seinem neuen Status den Personalaufzug zu benützen. Seinen braunen Mantel zuknöpfend, betrat er das geräumige, polternde Beförderungsmittel, das auf seiner Abwärtsfahrt Bündel von Schmutzwäsche, einen Abfalleimer, gefüllt mit blutigen Verbänden, einen Rollwagen mit Medikamenten, einen Rollwagen mit Eßgeschirr, in dem kalt gewordene Speisereste verkrusteten, acht braunbemantelte Träger und sogar zwei Patienten mitführte, von denen einer tot war.
Pip zwängte sich neben den Träger mit dem zugedeckten Leichenrollwagen; der Mann war noch jünger als er, hatte ungekämmtes schwarzes Haar, trug einen großen modischen Walroßschnurrbart und kleine viereckige Augengläser. «Sind Sie nicht einer von den Studenten?» fragte er Pip plötzlich verblüfft.
«Ich war einer. Heute vormittag habe ich den Laufpaß bekommen. Ich bin soeben in den Kreis der Ihren aufgenommen worden.»
«Na so was!» Er schüttelte Pip wuchtig die Hand. «Du bist also das arme Schwein, das von Sir Lancelots Prügel gefoltert wurde. Ich möchte wetten, daß du jetzt besser dran bist. Wir führen ein freieres und leichteres Leben. Ich heiße Harold Sapworth. Erfreut, dich kennenzulernen.»
«Ich soll mich beim Leiter unserer Abteilung melden.»
«Da müßtest du einen Bus nehmen. Hier gibt’s keinen mehr. Der Herr sind letzte Weihnachten ausgestiegen und haben in einem Hotel bessere Arbeit gefunden. Patienten geben nämlich keine Trinkgelder.» Er nickte seinem Schützling zu. «Vor allem nicht, wenn sie tot sind.»
«Aber in der Kanzlei sagte mir Mr. Grout -»
«Hör mal, Kumpel.» Harold Sapworth grinste. «Als erstes mußt du im St. Swithin wissen, daß diese Teppen in der Kanzlei nicht einmal wissen würden, daß sie geboren worden sind, hätten sie nicht einen Nabel im Bauch. Und den betrachten sie fast die ganze Zeit über, wenn du mich fragst. Hilf mir bei dem da», forderte er Pip auf, als er, im Keller angekommen, den Rollwagen hinausschob.
Pip hatte niemals einen Gedanken an die Krankenträger verschwendet. Für ihn waren sie bisher anonyme Gestalten gewesen, mit schwarzen, bärtigen oder ledrigen Gesichtern, die ständig gehunfähige Patienten oder große, unidentifizierbare Bündel auf Rollwagen vor sich herschoben. Er hätte sich nie vorgestellt, daß sie organisiert waren, Truppen einer brillant geschulten Armee, gut gedrillt und in präziser Gefechtsformation. Oder auch nicht?
«Ich soll mich auch bei Ihnen melden, Mr. Sapworth», sagte Pip, während er den Wagen durch einen breiten, weiß gekachelten und hell erleuchteten Korridor steuerte. «Und soll mich um die Mitgliedschaft bei der OHA bewerben.»
«Keine Sorge. Bist schon drin.» Sie zwängten sich an einer Reihe von Wagen vorbei, die den Tee für die Patienten aus der Küche brachten. «Ich bin der Lückenbüßer für unseren Vertrauensmann. Der hatte auf dem Piccadilly Circus einen kleinen Unfall.»
«Hoffentlich bleibt er nicht zu lange seiner Arbeit fern», meinte Pip höflich.
«Doch, drei Jahre lang.»
«Das muß ja eine schreckliche Sache gewesen sein.»
«War’s auch. Plötzlich stand er da im Lichtkegel des Scheinwerfers. Und die Polente hatte ihn.»
«Aber wie schrecklich», rief Pip über seine Schulter, während sie ihren Weg in die Totenkammer gemächlich fortsetzten.
«Wieso? Was ist schon dran, an einem bißchen Knast?» gab Harold erstaunt zurück. «Mein Alter und mein Bruder haben die meisten Jahre ihres Lebens drin verbracht. Deswegen schwitz ich mir doch mit Überstunden die Seele aus dem Leibe, nur um meine arme alte Mami zu
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